Tod im Moseltal
Wohnung gab es keine herumliegenden Bücher, sondern ein exakt ausgerichtetes Bücherregal, keine verstreuten CDs, sondern eine umfangreiche Sammlung klassischer Musik, die nach Komponisten oder Interpreten alphabetisch geordnet war. Pflanzen, Dekoration, Bilder, all das gab es in dem großzügigen, aber fast leeren Apartment nicht. Deshalb fiel es umso mehr auf, dass die korrekt gebügelten und auf Einheitsformat zusammengelegten T-Shirts und Pullover zuoberst so aussahen, als ob jemand in Eile die darüberliegenden Kleidungsstücke einfach weggezogen hätte. Das war aber auch die einzige Unstimmigkeit. Ansonsten wirkte alles so, als ob jemand seit einiger Zeit auf Reisen sei: Der Kühlschrank war bis auf ein paar haltbare Lebensmittel leer, viel Reklame und wenig Post verstopften den Briefkasten, der Schreibtisch war aufgeräumt.
Eine der zwei Schubladen beinhaltete Schreibzeug, Hefter, Locher und andere Büroutensilien, in der zweiten Schublade fanden sich ein dünnes Handbuch für Notebook und Drucker sowie eine externe Festplatte. Ein Notebook selbst fehlte. Es war jedoch heutzutage nicht außergewöhnlich, seinen Computer in den Urlaub mitzunehmen, um Fotos darauf zu speichern, ins Internet zu gehen oder vielleicht ein Reisetagebuch zu führen.
Ducard ließ einen Kollegen von der Kriminaltechnik ein Polizei-Notebook bringen, und der Computerfachmann schloss die externe Festplatte an. Der Bildschirm zeigte eine Fehlermeldung.
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis der Computerspezialist sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck wieder bei Ducard meldete. »Ich habe die Daten. Hat ein bisschen länger gedauert, weil ich ein wenig improvisieren musste. Viel war aber nicht drauf.«
Ducard bedankte sich bei seinem Kollegen, dann schaute er gemeinsam mit Steffen auf den Bildschirm des Notebooks.
Auf der Festplatte waren ein paar Dokumente über Kickboxen und andere Kampfsportarten, umfangreiche Dateien zum Thema Wirtschaft und Finanzierung, privat-geschäftliche Schreiben abgelegt. Alles unverfänglich, bis ein mit dem französischen Wort »porc« betitelter Ordner geöffnet wurde und weitere Unterordner und Einzeldateien erschienen.
Steffen richtete sich kurz auf und ließ wie ein geplatztes Ventil die Luft aus seinen aufgeblasenen Backen. »Da haben wir es.« Er sagte es mehr zu sich, aber Ducard und die anderen Ermittler in der Nähe unterbrachen ihre Arbeit und sahen ihn erwartungsvoll an.
»Den Ordner mit dem Namen ›sss_project‹ habe ich auf Thomas Steyns Bürocomputer gesehen, derselbe Name. Mach mal auf. Da müssten jetzt Dokumente zu einem Solarprojekt erscheinen. Voilà, sage ich ja. Wenn ich das noch recht in Erinnerung habe, die gleichen Dateien. Und hier«, er sprach weiter, ohne sich zu fragen, ob alle Kollegen Deutsch verstanden, »die Datei ›Seckerath‹, so heißt der Chef von Steyn. Und da haben wir eine PDF-Datei über K.-o.-Tropfen, damit wurde unser Opfer in Avelsbach betäubt, bevor es ermordet wurde.«
Er schaute um sich. »Kollegen, das hier ist ein Volltreffer.«
Marie hatte die Kinder mit einem unguten Gefühl zur Schule gebracht. Die letzten zwei Wochen hatten allen zu schaffen gemacht, auch wenn besonders Mattis sich bemühte, tapfer zu sein. Das Wochenende hatten sie zusammen in Trierweiler verbracht. Marie spürte, dass sie den Rückhalt brauchte, den ihr Thomas’ Familie gab und umgekehrt. Das Zusammenwachsen mit der Familie von Steyn war in diesen Tagen das einzig Positive.
Anschließend war sie weiter zur Uni gefahren und war nun eine der Ersten in der psychologischen Fakultät. Sie ging in ihr Büro und schloss die Tür hinter sich. Mit Schaudern ertappte sie sich bei dem Wunschgedanken, bis zum Mittag würde keiner ihre Anwesenheit bemerken. Bis halb elf nahm tatsächlich keiner Notiz von ihr. Dann platzte die Sekretärin ins Zimmer und erschrak heftig bei ihrem Anblick. Sie stammelte ein paar Worte der Entschuldigung, und Marie brauchte nicht ein Wort zu sagen, und die Frau war wieder verschwunden. Eine weitere Stunde später sah sich Sabine Mayhold gemüßigt, nach ihrer Mitarbeiterin zu sehen. Auch sie ging nach ein paar Belanglosigkeiten wieder.
Die Ruhe nutzte Marie, um nachzudenken. Aber weiter als bis zur Hoffnung, die neue Spur zu dem Ex-Mitschüler von Thomas würde zum Beweis seiner Unschuld führen, kam sie nicht. Sie konnte keinen Weg für das Danach finden. Das Klingeln ihres Handys ließ sie zusammenfahren. Als sie die Nummer von Klaus Menzel erkannte,
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