Tod im Moseltal
nahm sie das Gespräch zittrig, aber erleichtert entgegen.
»Hallo, Frau Steyn, störe ich Sie gerade?«
»Nein, ich bin allein. Gibt es etwas Neues?«
»Ja, ich habe eine gute Nachricht für Sie: Soeben ist die Untersuchungshaft Ihres Mannes ausgesetzt worden. Ihr Mann steht neben mir und ist frei.«
Marie konnte nicht begreifen, was der Anwalt ihr da sagte. Weil sie nicht antwortete, fragte Menzel: »Frau Steyn, sind Sie noch da?«
»Ja, ja, natürlich. Ich bin nur so … überrascht. Ich habe nicht so schnell mit dieser Nachricht gerechnet. Ist der Mörder gefasst?«
»Nein, das nicht. Aber es haben sich neue Sachverhalte aufgetan. Haben Sie von dem Mord in Luxemburg gehört?«
»Nein«, sagte Marie erschrocken, obwohl sie gar nicht wusste, um wen es sich bei der Toten handelte, »nein, ich habe nicht davon gehört. Gibt es einen Zusammenhang mit unserer … ich meine, unserem Fall?«
»Offensichtlich ja, jedenfalls hat selbst die Staatsanwaltschaft eingestanden, dass unter den neuen Gegebenheiten nicht mehr von einem dringenden Tatverdacht gegen Ihren Mann auszugehen ist.« Menzel räusperte sich. »Möchten Sie jetzt vielleicht Ihren Mann sprechen? Er steht, wie gesagt, direkt neben mir.«
»Ja … ja, sicher.« Marie wusste, dass sie nicht besonders überzeugend klang. Aber es war auch ein unbekannt mulmiges Gefühl, das bei dem Gedanken an ein Gespräch mit ihrem Mann in ihr aufstieg.
»Hallo, Tom.«
»Hallo, Marie.«
»Schön, dass du wieder draußen bist. Wie geht es dir?«
»Geht schon. Und dir?«
»Na ja, ganz okay, denke ich.«
»Wo sind die Kinder?«
»In der Schule. Zum Glück trauen sie sich das nach der …« Marie stockte. Sie wusste gar nicht, ob Thomas etwas von der Flugblattaktion an Mattis’ Schule wusste.
»Nach dem Mord, meinst du?«
»Nein. Nachdem jemand an Mattis’ Schule Flugblätter verteilt hat, die dich, euch …«
»Die mich als Mörder dargestellt haben?«
»Ja.«
»Das war ich ja auch in den Augen aller, oder?«
Marie wusste, dass sie zu lange überlegt hatte, bevor sie jetzt vielleicht etwas zu trotzig antwortete:
»Nein. Nein, Thomas, nicht alle. Aber es war für deine Familie keine einfache Zeit.«
»Ja, ich weiß. Tut mir leid.«
»Was machst du jetzt?«
»Ich muss noch mal zur Kripo. Die wollen mich wegen irgendeines anderen Verdächtigen verhören.« Er lachte bitter auf. »Aber diesmal als Zeuge, haben sie meinem Anwalt versichert.«
»Ich glaube, die haben versucht, ihren Job gut zu machen. Was machst du danach?«
»Ich weiß nicht. Ich denke, ich komme nach Hause.«
»Du weißt, dass wir momentan nicht in Avelsbach wohnen?«
Als sie keine Antwort bekam, fuhr sie fort: »Die Kinder sind bei deinen Eltern. Ich pendele zwischen Peter und Trierweiler. Rufst du deine Eltern an?«
»Nein. Nein, ich denke nicht. Ist vielleicht auch ganz gut so, dass ihr nicht da seid.« Nach einer Pause fügte er leise hinzu: »Ist vielleicht für alle ein bisschen viel sonst.«
»Ja, das kann sein. Ich melde mich dann bei dir, okay?«
»Okay. Grüß die Kinder bitte von mir.«
»Natürlich.« Jetzt konnte Marie die Tränen plötzlich nicht mehr zurückhalten. Mit dem Gruß an die Kinder kam ihr die Gewissheit, dass ihre Familie nicht mehr zu retten sein würde.
Paul Gerhardts hatte sich dafür entschieden, das Verhör im Zimmer von Christian Buhle durchzuführen, der neben dem Dienststellenleiter als Einziger das Privileg eines Einzelzimmers hatte. Wohl auch weil keiner sich darum gerissen hatte, sich mit ihm ein Zimmer zu teilen.
Sie hatten Kaffee besorgt, auf Teilchen vom Bäcker aber verzichtet, damit das Ganze nicht zu sehr nach Entschuldigung aussah. Während sie ihrem ehemaligen Hauptverdächtigen die Gründe für seine Verhaftung und die nun veränderte Ausgangslage noch einmal in Grundzügen darlegten, hatte Gerhardts in dessen fast ausdruckslosem Gesicht gelesen, dass er ohnehin nichts dergleichen akzeptieren würde. Er verspürte die tiefe und selbstgerechte Bitterkeit eines zu Unrecht Verurteilten. Und das war er durch die mediale Berichterstattung leider tatsächlich, auch wenn sie selbst keine Schuld daran trugen.
»Herr Steyn, wir möchten Sie gerne zu einem Ihrer ehemaligen Mitschüler befragen. Wären Sie dazu bereit?«, begann er vorsichtig. »Wir haben hier eine Liste mit sieben Namen. Hatten Sie zu einem dieser Mitschüler in der letzten Zeit Kontakt?«
Thomas Steyns Miene hatte ihre Selbstgefälligkeit verloren. Er betrachtete ernst die
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