Tod im Moseltal
Bilderrahmens erschöpften. Sonst war alles wie damals: die Tapete, die Bilder, das Schränkchen mit der Vase, die nur im Sommer mit Blumen gefüllt war, die Ablage für die Schuhe, die kleine Garderobe mit langsam erblindendem Spiegel, das Schlüsselbrett neben der Eingangstür.
Stefan blickte kurz über die Schulter, bevor er die Tür zu seinem Zimmer öffnete. »Ich hab aber nicht viel Zeit, muss morgen zur Frühschicht.«
»Ja, ja, ist okay. Ich will nur mal ein paar Takte mit einem vernünftigen Menschen reden. Hab ja auch nur eine Flasche dabei.« Thomas grinste schelmisch.
Sie betraten Stefan Thieles’ Zimmer. Auch hier hatte sich gegenüber früher nur wenig verändert, wie Thomas bereits von den wenigen früheren Treffen wusste. Immerhin hatte sich sein Jugendfreund seit dem letzten Besuch einen riesigen Flachbildfernseher geleistet, der viel zu groß für das kleine Zimmer war. Er setzte sich auf einen abgewetzten schwarzen Ledersessel, während sein genötigter Gastgeber einen Korkenzieher und zwei großvolumige Rotweingläser aus einer alten Vitrine holte.
»Was redet man hier in der Siedlung so über mich?«
»Bist du zum Ausfragen hergekommen?«
»Nein, nicht ausfragen. Aber wenn ich dich nicht fragen kann, wen sonst?« Thomas goss Stefans Glas so voll, dass die halbe Flasche bereits leer war. Stefan schien nichts daran zu finden. Sich selbst füllte er gerade mal die Hälfte der Menge ein. Er prostete seinem Gegenüber kurz zu. Beide nahmen einen kräftigen Schluck und verteilten den Wein zunächst in alle Winkel ihres Gaumens, bevor sie ihn portionsweise schluckten.
»Ein guter Tropfen.« Stefan zog die Mundwinkel anerkennend nach unten. Als Thomas nichts darauf erwiderte und die einsetzende Stille immer erdrückender wurde, fuhr er fort: »Na ja, du kannst dir ja vorstellen, dass alle hier oben geschockt waren, als sie von dem Mord erfahren haben. Dass du verdächtigt wurdest, war hier natürlich sofort rund, nachdem sie dich abgeführt hatten.« Er fuhr sich wieder über die Lippen. »Zuerst gab es schon noch welche, die an deiner Schuld zweifelten, aber dann kamen die Geschichten in der Zeitung dazu, dass du … na ja, eben nicht treu warst und sogar mit … Das war dann schon schwierig für uns.« Stefan hatte die ganze Zeit sein Weinglas in Händen gedreht, nahm nun aber wieder einen großen Schluck.
»Du hast den Schmierfinken auch geglaubt, oder?« Thomas bemühte sich, tiefe Resignation in seine Stimme zu legen. Er verfehlte sein Ziel nicht.
»Nein, doch, verdammt, nein, aber die haben von Beweisen geschrieben und dass du mit der … der Toten was hattest. Oder hattest du nicht?«
»Ich kannte die Tote nicht. Ich habe sie das erste Mal gesehen, als sie tot auf unserem Gästebett lag.« Thomas sah in sein Glas. »Ich hatte gehofft, vielleicht du … Aber warum solltest du? Mir haben ja noch nicht mal meine Eltern geglaubt.« Er betrachtete noch eine Weile den tiefroten Wein. Dann trank er mit einem Schluck den Rest aus. »Es ist okay. Es gab für euch keinen Grund, etwas anderes zu glauben, als dass ich der Mörder bin.«
Thomas stand abrupt auf. »Danke, Stefan, danke, dass du mich überhaupt reingelassen hast. Nein, bleib sitzen, ich find schon raus, kenne den Weg ja noch von früher. Es ist okay. Aber denk dran: Ich war es nicht. Das musst du mir glauben.«
Er verließ das Zimmer, schritt zügig durch die Diele, verharrte kurz vor der Tür und verließ schließlich das Haus. Während er am Auto der Polizisten vorbeikam, bemerkte er, dass nur noch ein ihm unbekannter Mann darin saß. Er ging zur Beifahrertür und klopfte an die Scheibe.
»Ist der Kollege schon schlafen gegangen?«
»Nein, er wollte nur Vorsorge dafür tragen, dass Sie sich nicht entschließen, den Hintereingang zu nehmen.«
»Oh, sehr aufmerksam. Sie können ihn jetzt zurückrufen. Ich glaube, er war schon gestern Nacht etwas zu lange in der Kälte. Gute Nacht.« Bei den letzten Worten tippte sich Thomas mit zwei gestreckten Fingern grüßend an die Stirn und ging zu seinem Haus zurück.
Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr, als Thomas Steyn das Licht in seinem Haus löschte.
*
Das Licht im Gästezimmer von Philipp und Juliette von Steyn in Trierweiler brannte bereits seit drei Stunden nicht mehr. Marie hatte die Kinder gegen acht Uhr ins Bett gebracht. Zwei Stunden später war sie selbst im Dunkeln gefolgt, darauf bedacht, nicht über das aufblasbare Gästebett zu stolpern, das den Raum zwischen den beiden
Weitere Kostenlose Bücher