Tod im Moseltal
An Thomas Steyn gewandt fuhr Buhle fort. »Wir haben Ihre Marion dennoch gefunden, Herr Steyn. Sie wohnt in Hamburg, hat dort das Wochenende mit ihren Kindern verbracht und sagte unseren Kollegen vor Ort, Sie seit Anfang der neunziger Jahre nicht mehr gesehen oder irgendetwas von Ihnen gehört zu haben.«
Steyn warf einen verzweifelten Blick zu Klaus Menzel hinüber. »Muss ich jetzt hierbleiben, bin ich richtig verhaftet?« Er fragte es mit der verzweifelten Erkenntnis eines Kindes, dem mitgeteilt wurde, seine Mutter müsse in den Himmel umziehen, das aber dennoch hoffen möchte, sie bald wiederzusehen.
»Wir werden dem Staatsanwalt unseren Ermittlungsstand heute Abend weitergeben, und er entscheidet dann, ob beim Haftrichter Untersuchungshaft beantragt wird oder ob Sie mit oder ohne Auflagen vorläufig freigelassen werden, Herr Steyn. Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Sollen wir eine kurze Pause einlegen?«
Steyn nickte matt.
Nachdem die beiden Polizisten den Raum verlassen hatten, ging Gerhardts eine Flasche Mineralwasser und vier Plastikbecher besorgen; Buhle nutzte die Pause hingegen, um Wasser wegzubringen. Sie trafen sich wie vereinbart im Flur vor dem Verhörzimmer wieder.
»Und?« Buhle schaute seinen ältesten Mitarbeiter fragend an.
»Steyn hat alles genauso erzählt wie gestern, als er noch völlig unter dem Schock des Mordes stand. Das ist ja eigentlich eher ein Indiz dafür, dass er sich das alles nicht ausgedacht hat. Aber weitere Hinweise, die seine Schilderungen stützen, haben sich für mich auch nicht erschlossen. Schwierig.«
»Ich habe heute Mittag noch gedacht, wir müssten ihn nur ordentlich unter Druck setzen. Aber so, wie er sich verhält, und wenn man bedenkt, was uns der Anwalt signalisiert … Ich glaube, wir bekommen mehr heraus, wenn wir momentan noch auf Kooperation setzen, oder?«
Gerhardts stimmte dem wortlos zu.
Alle vier hatten sich wieder auf ihre Stühle im Vernehmungszimmer gesetzt, und Gerhardts gab das Zeichen, dass die Videoaufzeichnung wieder gestartet wurde. Buhle sah Thomas Steyn eine Zeit lang an, und dieser hielt dem Blick erstaunlich lange stand.
»Herr Steyn, bei den Ermittlungen sind einige Fragen aufgetaucht, die Sie uns möglicherweise beantworten können. Sie sind dazu nicht verpflichtet, aber es könnte durchaus zu Ihrem Vorteil sein. Natürlich können Sie jederzeit mit Ihrem Anwalt Rücksprache halten, wenn Sie es wünschen.«
Steyn schaute kurz zu Klaus Menzel, und der nickte erkennbar.
»Gut«, fuhr Buhle fort. »Sie hatten uns von der Kontaktaufnahme mit Ihrer Schulfreundin Marion Schroeder beziehungsweise Spiegelrodt erzählt. Nun haben wir die Aussage von Frau Schroeder, dass seit eineinhalb oder zwei Jahrzehnten kein Kontakt mehr zwischen Ihnen bestand. Sie heißt heute übrigen Reens, und eine Marion Spiegelrodt gibt es offenbar gar nicht. Können Sie uns das erklären?«
Steyn schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
»Aber Sie bestehen weiterhin darauf, dass Sie Besuch von Ihrer ehemaligen Schulfreundin hatten, obwohl Sie sich das selbst nicht erklären können?«
Klaus Menzel runzelte ein wenig die Stirn, schwieg aber weiterhin.
»Ja, ich hatte Besuch von Marion, mein Gott, ich hab mir das doch nicht alles ausgedacht.«
»Was macht Sie so sicher, dass es Ihre Freundin Marion war? Es ist doch immerhin eine lange Zeit her, dass Sie sich das letzte Mal gesehen haben.«
»Wer sollte es denn sonst gewesen sein? Wir haben bei unseren Chats vor allem über die alten Zeiten gesprochen. Wer sollte denn das alles wissen, wenn nicht Marion? Den Code, die Aktionen, den Atlantikurlaub …«
»War das ein besonderer Urlaub am Atlantik?«
Steyn zögerte mit der Antwort. »Ja, schon. Wir waren ja eigentlich nur Freunde, hatten nichts miteinander. Aber dann habe ich mich doch in sie verliebt. Als ich sie zu einem Urlaub zu zweit überreden konnte, hatte ich die Hoffnung, dass etwas zwischen uns laufen könnte. Und es lief auch was, aber nur in diesem Urlaub. Danach hat sie sich praktisch von mir abgewandt und mit Älteren rumgemacht. Ich habe das damals alles nicht verstanden.«
Steyn hob den Blick wieder, aber er schien an Buhle vorbei ins Leere zu laufen. »Im Nachhinein glaube ich, sie hatte das damals alles so geplant: den Urlaub, die Liebesspiele. Es war ein arrangiertes Ende unseres Bündnisses, das am Eingang zum Erwachsenwerden abgestreift werden musste wie ein alter Mantel vor einer neuen Jahreszeit. Ja, sie hatte das damals
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