Tod im Moseltal
hatte Marie ein gutes Gespür dafür, gegenüber Kindern die richtigen Worte zu finden; als Mutter suchte sie erfolglos nach einem Beginn für ein Gespräch mit ihrem Sohn. Schließlich legte sie ihren Arm um seine Schulter und zog ihn sanft an sich. Eine Geste, die bei beiden den Druck des Tages in einträchtigem Weinen auflöste.
Es dauerte nicht lange, bis sich Mutter und Sohn wieder einigermaßen gefangen hatten. Marie kramte ein Papiertaschentuch aus ihrer Hosentasche und reichte es Mattis. Der nutzte es, um zuerst ihre Tränen wegzuwischen und sich dann ausgiebig die Nase zu putzen. Marie lächelte ihren Sohn stolz an, wobei sie fast wieder zu heulen begann.
»Danke, mein Großer.«
»Bitte.«
»Geht es dir jetzt ein wenig besser?«
Mattis zögerte einige Augenblicke. »Ja, ein bisschen«, sagte er schließlich.
»Das ist echt eine schwierige Situation, in der unsere Familie gerade steckt. Und wenn dann noch solche … solche bescheuerten Idioten Flugblätter verteilen! Ich könnte denjenigen echt auf den Mond schießen.«
Mattis schaute sie überrascht an. Marie fluchte sonst nie in seiner Gegenwart.
Etwas ruhiger fügte sie hinzu: »Was machen wir denn morgen mit dir? Gehst du wieder in die Schule? Ich meine, es wird sicher jeder verstehen, wenn du zu Hause bleibst. Dann ist Wochenende, und danach hat sich vielleicht alles wieder beruhigt.«
Mattis’ Blick hatte etwas nachdenklich Skeptisches. »Oder es wird noch schlimmer. Wer weiß, was sich dieser Typ übers Wochenende noch ausdenkt.« Er machte eine Pause und sprach dann leise weiter: »Ich möchte nicht, dass alle denken, dass stimmt, was auf dem Flugblatt steht. Wenn ich nicht in die Schule gehe, denken die das aber vielleicht. Oder?«
»Ich weiß nicht, was die denken oder glauben wollen. Ich weiß nur, dass du ungeheuer tapfer bist, mein Lieber. Da wird es bestimmt viele Mitschüler geben, die eine ganze Menge Respekt vor dir haben, auch wenn sie es dir wahrscheinlich kaum zeigen werden.« Marie brauchte ebenfalls eine Pause, um die weiteren Worte zu finden. »Es ist aber auch zu befürchten, dass einige Kinder dich damit ärgern werden.«
Mattis zuckte kurz mit den Schultern und zog verächtlich die Mundwinkel nach unten.
»Was wirst du dann machen?«
Mattis’ Schultern zuckten ein weiteres Mal. »Ich lass sie einfach reden.«
»Und wenn die nicht aufhören?«
»Dann geh ich halt zu Frau Müller. Die hat gesagt, dass sie in den Pausen immer in meiner Nähe sein wird. Wenn du willst, kannst du sie auch noch anrufen, hat sie gesagt.«
Heute hatte Marie die Kinder selbst zur Schule gebracht. Sie ärgerte sich darüber, ihrer Schwiegermutter gestern allein die Verantwortung überlassen zu haben.
Sie hatte mit Sophie Müller vereinbart, dass sie Mattis in der Kochstraße, also etwas außer Sichtweite zur Schule, herauslassen würde. Die Klassenlehrerin würde in der Sichelstraße warten und Mattis in gewissem Abstand folgen. Mattis wusste nichts von dieser Vereinbarung.
Anschließend fuhr Marie mit Nora hoch nach Neu-Kürenz zur Grundschule und sprach dort mit Noras Klassenlehrerin und der Schulleiterin. Sie unterrichtete beide über die schwierige familiäre Situation und auch über die Ereignisse in Mattis’ Gymnasium und erntete dafür das ehrliche Versprechen, dass das ganze Lehrerkollegium die Augen aufhalten und sich besonders um Nora kümmern würde. Etwas ruhiger fuhr Marie weiter zur Arbeit.
In der Zentralen Kriminalinspektion Trier war es alles andere als ruhig: Das Gespräch zwischen Kripoleiter Herbert Großmann und Christian Buhle geriet fast zu einem handfesten Streit. Großmann konnte keinerlei Verständnis dafür aufbringen, dass Buhle bei der Beweislage an der Täterschaft Thomas Steyns zweifelte. Dass noch Lücken in der Beweisführung geschlossen werden mussten, gut. Dass natürlich noch die Identität der Toten und der genaue Tatablauf rekonstruiert werden mussten, ebenfalls gut, aber auch langsam notwendig, fünf Tage nach der Tat. Dass Trittbrettfahrer in Trier nicht zu erwarten gewesen waren, nachvollziehbar, aber immerhin auch nicht unmöglich. Natürlich wartete noch jede Menge Arbeit auf die Kriminalpolizisten. Aber warum Buhle auch weiterhin in andere Richtungen ermitteln wollte, war Großmann schleierhaft.
»Kannst du mir irgendeinen Anhaltspunkt dafür liefern, dass Steyn nicht der Täter ist, außer diesen paar Ungereimtheiten?«
Buhle spitzte die Lippen und zog sie wieder zu einem schmalen Strich
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