Tod im Moseltal
zurück. »Nein, ich habe faktisch nichts. Es ist nur … irgendwas … Ich weiß ja auch nicht, warum, aber irgendwie glaube ich diesmal nicht an das Naheliegende. Diese Pressekampagne gegen Steyn, als ob jemand darauf vorbereitet war. Dann gestern diese Flugblätter. Diese unwirkliche Geschichte von Steyn: Warum hält er immer noch an ihr fest? Du hast selbst immer Wert darauf gelegt, auch der eigenen Intuition zu folgen.«
»Ja, und es hat dazu geführt, dass ich so unlösbare Fälle gelöst habe. Aber auch, dass ich mich bei einfachen Fällen total in die falsche Richtung verrannt hatte. Intuition ist ein Hilfsmittel, auf das kein guter Kriminalpolizist verzichten sollte. Aber Intuition darf nie vor dem offensichtlichen Beweis stehen, dann ist es nämlich nur Borniertheit.« Ohne ein weiteres Wort verließ Großmann Buhles Büro.
War er borniert, unbelehrbar, starrsinnig? Oder war er einfach mal wieder nicht fähig, zu glauben, dass das Leben manchmal auch ganz einfache Lösungen parat halten konnte?
Buhle konnte so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Aber wenn Vorgesetzte sich in seine Ermittlungsarbeit einmischten, brodelte es in ihm. Natürlich, es konnte sich so zugetragen haben, wie es Niko Steffen gestern geschildert hatte. Aber konnte es nicht auch anders gewesen sein?
Er nahm sich die Ermittlungsakten und studierte die offenen Fragen erneut. Für alles gab es Erklärungen, die zumindest die Version nicht widerlegten, dass Steyn der Mörder war: die verschwundenen Gegenstände wie Notebook und Bettwäsche, die Verteilung der Fingerabdrücke, die nicht zuzuordnenden Erdspuren eines Reifens, die Beobachtung des Nachbarn, die zu geringen Alkoholgehalte, die nicht übereinstimmenden Mageninhalte der Toten mit dem zwischenzeitlich überprüften Essen. Und selbst wenn da irgendetwas nicht stimmte, was war das gegenüber den Beweisen, die sie ermittelt hatten, allen voran Steyns Spermaspuren an der Toten und die sonstigen Spuren, die eindeutig zeigten, dass Steyn mit der Toten intimen Körperkontakt gehabt hatte? Nichts. Dass Steyn weiter bei seiner Geschichte von dieser alten Schulfreundin blieb, machte ihn nicht glaubwürdiger.
Als sich die Tür ohne vorheriges Anklopfen öffnete und Großmann diesmal mit einem Stapel Zeitungen hereinkam, ahnte Buhle Schlimmes.
»Hier, nichts wirklich Neues im Zeitungswald. Fragt sich, ob LëtzTalk und der MoZ das Pulver ausgegangen ist oder ob die nur auf die nächste Gelegenheit warten, sich wieder gegenseitig übertrumpfen zu können. Habt ihr eigentlich wegen dieser orientalischen Bordellfotos etwas herausgefunden?«
Der Tonfall seines Chefs hatte deutlich moderatere Züge angenommen, und auch Buhle hatte keine Lust, den Streit Wiederaufleben zu lassen. Also bemühte er sich um eine umfassende Antwort.
»Paul und Michael haben Steyn die Bilder gezeigt. Nach einigem Zögern hat er bestätigt, in den letzten Jahren auf seinen Dienstreisen verschiedene Bordelle besucht zu haben. Das von LëtzTalk und der MoZ veröffentliche Foto kann in Algier entstanden sein. Es gibt im Dachgeschoss seines Hotels eine Bar mit dem sinnigen Namen ›1001 Nacht‹, ein gern besuchter Treffpunkt für Gäste, die entsprechende Kontakte suchten. Sozusagen eine Serviceleistung des Hauses. Auch Steyn hat sie regelmäßig in Anspruch genommen. Er hat die Frau auf dem Foto als eine Prostituierte erkannt, die er mehrmals besucht hat, auch in diesem Jahr.«
»Hat er eine Ahnung, wie das Foto entstanden sein könnte?«
»Nein. Er habe sich vorher bei anderen Geschäftsleuten erkundigt. Demnach galt die Bar als seriös und diskret. Steyn hat aber auch darauf hingewiesen, dass ab bestimmten Summen jede Diskretion ein Ende hat. Auch bei ganz normalen Geschäften und nicht nur im arabischen Raum.«
Die Auskunft schien seinem Chef zu reichen. Er wandte sich bereits zum Gehen, als er sagte: »Denk dran, heute Nachmittag um vierzehn Uhr ist die Pressekonferenz angesetzt. Schon um elf wollen uns der Boss und die ›Hauptmann‹ sehen. Das sind keine zwei Stunden mehr.«
Buhle hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Der lange Kordonbowski und der kurze Grehler betraten sein Büro.
»Tim, was machst du denn hier? Hallo, Lutz, tretet ihr zukünftig als Pat und Patachon auf?«
»Ich dachte, du freust dich, wenn wir dir die Ergebnisse der noch ausstehenden DNA-Analysen persönlich vorbeibringen.« Da Buhle nicht reagierte, fuhr Kordonbowski fort: »Na ja, ich hab auch noch eine Routine-Obduktion im
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