Tod im Moseltal
Kindheit so gequält hat. Sie gab an, heute nur noch bei Familienfeiern den notwendigsten Kontakt mit ihm zu haben. Offensichtlich leidet sie zusätzlich darunter, dass ihr Bruder trotz seiner Vergangenheit vom Rest der Familie nicht fallen gelassen, sondern sogar noch hofiert werde. Ihr hättet mal ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, als sie über ihn sprach.
Frank Breit war darüber erbost, dass Philipp von Steyn weiterhin die Geschäfte selbst fortführte und insgeheim doch noch auf einen Einstieg seines Sohnes in das Firmenkonsortium hoffte, anstatt ihn selbst als studierten Betriebswirtschaftler in die Verwaltung und Firmenleitung einzubinden.«
Es war schon lange dunkel, als Buhle vor seinem versammelten Team die Lage am vierten Tag nach dem Mord zusammenfasste: »Unter normalen Umständen könnten wir die Soko morgen wieder auflösen und ganz entspannt ins Wochenende gehen. Die DNA-Analysen zeigen eindeutig, dass Thomas Steyn entgegen seinen Bekundungen mit dem Opfer sexuellen Verkehr hatte. Zudem beweisen Spuren unter den Fingernägeln des Opfers, dass es den Verdächtigen gekratzt haben muss. Das könnten Indizien dafür sein, dass sie sich gewehrt hat, möglicherweise weil sie keinen oder keinen weiteren Sex haben wollte, und das Ganze anschließend eskalierte. Insofern haben wir sicher genug Beweise für eine Weiterführung der Untersuchungshaft von Thomas Steyn. Gibt es dazu von euch noch Anmerkungen?«
Er schaute in die Runde, doch alle schüttelten nur mehr oder weniger müde den Kopf.
»Damit hört die klare Sachlage aber auch schon auf. Steyn hält noch immer an der Geschichte fest, die er uns von Anfang an erzählt hat, und ist davon bislang noch keinen Millimeter abgewichen: der Besuch der alten Freundin. Steyn hat die Story so authentisch rübergebracht, dass … also vom Gefühl her …«
Gerhardts soufflierte ihm: »Also vom Gefühl her würde auch ich sagen, dass Thomas Steyn zumindest glaubt, was er sagt, auch wenn es von der Beweislage her eigentlich unmöglich ist.«
»Mal euer Gefühl ganz in Ehren, aber es spricht doch überhaupt nichts dafür, dass sich irgendeine andere Person am Tatort aufgehalten hat. Kann er sich da nicht auf eine Schutzbehauptung versteift haben, die er mittlerweile selbst verinnerlicht hat, vielleicht weil er ein Blackout für die Tatzeit hat?« Steffen hielt offensichtlich nichts von Bedenken und viel von einem freien Wochenende.
»Ja, unsere Intuition sollten wir vielleicht wirklich außen vor lassen. Fakt ist aber auch, dass es kein Motiv gibt und auch keine wirkliche Logik in seinem Handeln«, versuchte Gerhardts dagegenzuhalten.
»Vielleicht nicht für die Tat, aber für die Zeit danach schon«, widersprach Steffen. »Nachdem er die Frau – vermutlich sogar ungeplant – ermordet hat, kommt er wieder zu sich und merkt, was er angerichtet hat. Schon rattern die kleinen Rädchen in dem klugen Kopf. Es ist ihm bewusst, dass er die Frau nicht einfach verschwinden lassen kann. Möglicherweise wusste jemand davon, dass sie mit ihm verabredet war, und vielleicht hat er genügend Krimis gelesen, um zu wissen, dass wir Spuren der Tat bei ihm im Haus immer nachweisen können. Also denkt er sich die Geschichte mit der Freundin aus, versucht in der Eile, irgendwelche falschen Spuren zu legen. Er hatte sicher genug Zeit, um Bettwäsche, Handtasche, Notebook und was weiß ich verschwinden zu lassen. Schließlich haben wir ja auch den Zeugen, der Steyns Auto in der Nacht vor dem Haus gesehen hat. Letztendlich hofft er darauf, dass wir von seiner Unschuld ausgehen, wenn er die Tote selbst meldet. Er hofft und blufft und blufft und hofft. Eine andere Chance sieht er nicht.«
Nachdem Steffen seine Erklärung des Falls abgeschlossen hatte, herrschte Stille. Alle prüften in Gedanken die bisherigen Ermittlungsergebnisse mit dieser Version vom Tathergang ab. Selbst Reuter, der in der ganzen Zeit nicht von seiner kritischen Haltung abgewichen war, sagte nichts, sondern starrte nur äußerst missmutig auf den Tisch.
Als Erster ergriff Buhle wieder das Wort. »Tja, so könnte es gewesen sein. Aber wir haben sicher in einigen Fragen noch Ermittlungsbedarf. Zum Beispiel warum er diese schwarze Satin-Bettwäsche hätte verschwinden lassen sollen, die er nach eigener Aussage aufgezogen hatte. Der Mord ist nach den vorhandenen Blutspuren eindeutig auf dem Laken geschehen, das wir am Tatort vorgefunden haben.«
Buhle sah Steffen fragend an. Als dieser wortlos die Schultern hob,
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