Tod im Moseltal
fuhr er fort: »Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Verteidigung wird auf genau diese Geschichte mit der alten Freundin setzen. Solange wir kein Geständnis haben, müssen wir Fakten schaffen, die nicht nur den Mord durch Steyn beweisen, sondern auch seine Geschichte als Lüge enttarnen.«
Während er einen Schluck Wasser nahm, überlegte er, dass die Beweislage für ihn nicht das Problem war. Es waren vielmehr die unerklärten Randerscheinungen.
»Dazu kommen noch die anderen Merkwürdigkeiten. Es ist doch nicht normal, dass die Presse einen oder mehrere Informanten hat, die anscheinend nur auf die Gelegenheit gewartet haben, Steyn in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Es ist ebenfalls nicht normal, dass jemand diese Flugblattaktion startet und damit den zehnjährigen Sohn des Verdächtigen an den Pranger stellt. Und es ist nicht normal, dass das Opfer angeblich niemand kennt oder vermisst.«
»Normal vielleicht nicht, aber auch das ist alles zu erklären.« Steffen fühlte sich heute offenbar so sicher, dass er sich nicht einmal von seinem geschätzten Chef von seiner Linie abbringen lassen wollte. »Natürlich müssen wir das alles auch noch ermitteln. Steyn hat sicher Feinde oder geschäftliche Konkurrenten, die einiges über ihn wissen und ihn oder seine Firma oder die seines Vaters in Misskredit bringen wollen. Da ist der Mord doch eine herrliche Möglichkeit, um als Trittbrettfahrer nachzuhaken. Das mit dem Sohn ist sicher schwieriger, aber auch in diese Richtung zu erklären. Und die Prostituierte kann illegal hier in Deutschland gewesen sein, vielleicht auch erst seit Kurzem. Wer will sich denn dann an sie erinnern: ihr Schleuser, ihr Zuhälter, ihre Kolleginnen, die um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie den Mund aufmachen? Da müssen wir uns nur mal mit unseren Leuten vom K2 unterhalten, die werden uns schon die Augen öffnen, wie leicht eine Frau nicht vermisst werden kann.«
Reuter hatte sich zwischenzeitlich einen Bleistift gegriffen, der jetzt mit einem hässlichen Geräusch in zwei Teile gebrochen und quer über den Tisch gestoßen wurde. »Das glaub ich einfach noch nicht. Das Scheißproblem ist einfach nur, dass alles dafür spricht.«
»Vielleicht musst du dich daran gewöhnen, dass ich auch mal …«
Buhle fiel Steffen ins Wort: »Ich denke, wir machen für heute Schluss. Morgen kommen die restlichen Ergebnisse der Rechtsmediziner, dann müssen wir sammeln, was wir über die Tote wissen. Sven, da wirst du gefragt sein. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was die Zeitungsfritzen noch für uns auf Lager haben. Die Flugblattaktion wird uns beschäftigen. Wir müssen Steyn noch mal vernehmen. Und zum krönenden Abschluss hat Monz um zwei Uhr eine Pressekonferenz angesetzt. Schlaft gut.«
13
Trier; Freitag, 5. November
Am Vortag hatte Marie es schließlich doch noch zur Uni geschafft und mit ihrer Chefin vereinbart, ihre Lehrveranstaltung auf ein Blockseminar am Anfang der Semesterferien im Februar zu verlegen. Ihre Mitarbeit im Bereich Organisation und Forschung konnte zumindest für die nächste Zeit auf ein Minimum zurückgefahren werden. Ein schlechtes Gewissen brauchte sie deshalb nicht zu haben, da ihre Arbeitsleistung in den vergangenen Jahren weit über das Maß einer halben Stelle hinausgegangen war.
Schwieriger war es, die Aufgaben als Gutachterin neu zu ordnen. Teilweise waren ihre Termine mit psychisch auffälligen oder in schwierigen Lebenssituationen befindlichen Kindern und Jugendlichen bereits der erste Schritt in eine weitergehende Therapie. Sie hatte hier eine Verantwortung, die sie nicht ohne Weiteres hinter ihren persönlichen Problemen einordnen durfte. Aber sie konnte vielleicht teilweise die Übergabe an Kindertherapeuten beschleunigen. Nächste Woche würde sie weitersehen.
Anschließend war sie nach Trierweiler zu ihren Kindern gefahren. Nora ging es gut, wenngleich auch sie wegen der Flugblätter geschockt war. Aber sie steckte das altersgemäß gut weg. Mattis war sichtbar tief getroffen von dem, was ihm in der Schule widerfahren war.
Marie hatte den ganzen Abend mit ihren Kindern und ihrer Schwiegermutter verbracht. Sie hatten »Carcassonne« gespielt, Spaghetti gegessen, und Mattis hatte mit seiner Oma noch eine Sendung über Nationalparks in den USA angeschaut, während Marie Nora zu Bett brachte. Als sie zurückkam, saß Mattis geistesabwesend vor dem Flachbildschirm. Er regte sich auch nicht, als sie den Fernseher ausschaltete.
Als Psychologin
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