Tod im Moseltal
Forensiker schauten sich an. Die Antwort übernahm Grehler. »Die einfachste Erklärung ist, dass er nach der Ejakulation abgerutscht ist. Kann passieren.« Er grinste wissend.
*
Claudille Laurants Haus lag am Nordrand von Berdorf in der Straße »Um Wues«. Ihr Mann hatte es damals geschmackvoll renoviert, sodass aus dem ehemaligen Bauernhaus das einfache, aber feine Wohnhaus eines Geschäftsmannes geworden war. Die Fensterbänke und -umrahmungen aus dem örtlichen gelben Sandstein kamen im Kontrast mit den dunkelbraunen Fensterläden der ersten Etage besonders gut zur Geltung. Die solide alte Kassetten-Holztür hatte in den vielen Jahrzehnten, in denen sie die Besucher empfing, noch an Würde gewonnen. Claudille hatte alles im Andenken an ihren geliebten Mann in der von ihm gedachten Form erhalten und in den dreißig Jahren seit seinem Ableben stets gepflegt. Lediglich den Vorgartenbereich hatte sie neu gestalten lassen, als sie immer unsicherer auf den Beinen wurde.
Ebenfalls kaum verändert hatte sich die Inneneinrichtung in den vergangenen Jahrzehnten. Das Ehepaar Laurant hatte zusammen seine Vorliebe für alte, ländlich geprägte Möbel ausgelebt, und Claudille hatte nie Veranlassung gesehen, daran etwas zu ändern. Ab und zu hatte sie sich Malerarbeiten gegönnt. Das letzte Mal war das Haus nach ihrer Krankheit komplett renoviert worden. Das war nun auch schon wieder fünfzehn Jahre her. Aber wer sollte hier etwas schmutzig machen?
Claudille blickte durch das Wohnzimmerfenster auf die rückwärtige überdachte Terrasse. Unzählige Stunden hatte sie seither dort gesessen, im Schaukelstuhl, am alten Gartentisch auf der Holzbank oder, als sie noch allein hochkam, in dieser neumodischen Liege, die ihr Thomas geschenkt hatte. Heute war es zu kalt und windig, um draußen zu sitzen. Der November hatte den großen Garten mit den alten Obstbäumen fest im Griff. Die wenigen Staudenbeete waren verblüht; Laub sammelte sich an der windabgewandten Seite vor der schon wieder zu hohen, ungebändigten Hecke. Sie musste Jean-Paul beauftragen, diesmal ausreichend Winterfutter für die Singvögel zu kaufen.
Als sie ihr einfaches Mittagsessen zubereitet und gegessen hatte, ging sie an den Briefkasten. Diesmal war sogar ein Brief darin, der nicht auf den ersten Blick als Rechnung oder Werbung zu erkennen war.
Sie hatte es immer geliebt, Briefe zu bekommen. Doch heute war es eigentlich nur noch Marie, die davon wusste und es in dieser digitalen Zeit auch noch beherrschte, richtige Briefe zu schreiben. Ansonsten war sie schon froh, wenn sie hin und wieder eine Ansichtskarte bekam.
Claudille machte sich einen Kräutertee, stellte die Tasse auf den kleinen Beistelltisch und setzte sich wieder in den Sessel vor dem breiten Wohnzimmerfenster. Der alte Messingbrieföffner, den Henri von seinem Großvater geerbt hatte, lag schon seit Jahren auf dem kleinen Tisch, nachdem er seinen Job auf dem Sekretär im Büro von Henri eingebüßt hatte. Mit drei langsamen Schnitten trennte sie die obere Kante des Umschlags in zwei saubere Hälften.
Der Inhalt bestand aus zwei Teilen. Ein kleiner Zettel und eine DIN-A4-Kopie. Auf dem Zettel stand in gedruckten Buchstaben: »Das dürfte Sie interessieren. Ein Freund«. Die Kopie zeigte einen Brief, der an Peter Kasper gerichtet war. In blumigen Worten erklärte jemand seine Liebe und seine Wollüste, die er seit geraumer Zeit für ihn hegte. Von einer gemeinsamen Zukunft ohne die lästige Familie war die Rede, von einem Alles-hinter-sich-Lassen. Unter dem in schnörkeliger Computerschrift geschriebenen Text stand in verzierten Buchstaben »Je t’aime, mon amour« und darunter handschriftlich »Marie«.
Claudille sah auf das Datum des Briefes: der 24. Mai dieses Jahres. Sie schaute noch einmal auf den Brief und den Zettel, dann faltete sie beides wieder so zusammen, wie sie es bekommen hatte, und steckte es in den Briefumschlag zurück. Sie saß noch eine Weile da und blickte in den herbstlichen Garten. Als sie sich wieder an die Tasse Tee erinnerte, war sie schon erkaltet.
Mit einem Seufzer ging sie zum Telefon und wählte Maries Nummer aus dem gespeicherten Adressbuch. Als der Anrufbeantworter ansprang, erinnerte sie sich, dass Marie zurzeit gar nicht in Avelsbach war. Sie machte einen weiteren Versuch mit der Handynummer, und nach zweimal Läuten nahm Marie den Anruf an:
»Claudille, ist was passiert?« Maries Stimme hatte sofort einen besorgten Klang angenommen. Claudille rief eigentlich
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