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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Mann mit ungepflegtem braunen Haar und in einem zerknitterten Leinenanzug. »Hugh Fido. Ich hatte schon von ihm gesprochen, nicht wahr? Der Maler von nebenan.«
    »Ach ja… richtig.«
    Der Wachtmeister erhob sich schwerfällig, die Uniformmütze festhaltend.
    »Bitte keine Umstände. Ich bin Hugh Fido. Guten Tag! Flavia sagt, Sie wollen mit allen Mietern des Hauses über Corsis Tod sprechen. Kommen Sie jetzt zu mir?«
    »Wenn es Ihnen zeitlich nicht paßt…«
    »Doch, doch. Flavia, ist Freitag okay?«
    »Natürlich. Hab ich doch schon gesagt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß du mich wirklich brauchst, aber ich komme gern.«
    »Prima. Sehr schön. Herr ähm… Wachtmeister, wenn Sie hier fertig sind, bringe ich Sie in das Atelier nebenan.«
    »Kommen Sie ruhig, wenn Sie noch Fragen haben.«
    Dr. Martelli legte ihre Hand leicht auf den Arm des Wachtmeisters. »Es ist interessant, mit Ihnen zu reden… Hugh, ich muß dir später von der Theorie erzählen, die wir beide über dieses Haus entwickelt haben. Sie ist absolut faszinierend. Komm doch nach der Sprechstunde auf ein Glas vorbei, und ich werde dir alles erzählen.«
    Der Wachtmeister folgte der schlaksigen Gestalt des Engländers. Er war wirklich ungewöhnlich lang. Er war auch nicht so jung, wie er zunächst gedacht hatte. Das Haar, das ihm, während er den Schlüssel ins Schloß steckte, über die Augen fiel, wurde an den Schläfen schon ein wenig grau. Er war wahrscheinlich so alt wie der Wachtmeister, sah aber zwanzig Jahre jünger aus.
    »Kommen Sie rein. Wo möchten Sie sitzen? Ich räume das Zeug hier rasch beiseite, dann können wir auf dem Sofa sitzen, da ist es am bequemsten.«
    Er nahm einen Stapel Kunstzeitschriften, ausländische Zeitungen und Kataloge und legte ihn, da es sonst keinen freien Platz gab, auf den Fußboden. Der Wachtmeister sah sich verwundert um. Noch nie hatte er so viel Farbe, so viel gepflegtes Durcheinander, so viele Bilder, Zeichnungen, Plastiken gesehen. Berge von Skizzen türmten sich auf antiken Möbelstücken, eine Wand war vollständig mit einer Darstellung nackter Figuren bedeckt, die in einem üppigen Garten umherhüpften, und überall in dem großen, hellen Zimmer wuchsen Pflanzen – rankend, sich windend, schlingend, kletternd und herabhängend.
    »Es ist ein bißchen unordentlich«, sagte der Maler, der das Gesicht des Wachtmeister beobachtet hatte.
    »Nein, nein… na ja, aber es ist sehr interessant…«
    Seine Stimme verlor sich, während sein Blick wieder zu dem Wandbild zurückkehrte, das er nun genauer betrachtete als beim ersten Mal. Die meisten Figuren nahmen an einer explizit dargestellten Orgie teil oder sahen fröhlich zu.
    »Es ist…«
    Was um Himmels willen hatte er sagen wollen? Warum hatte er nicht geschwiegen? Er spürte, wie er errötete, und wünschte inständig, er hätte die Szene genauer wahrgenommen, bevor er sich auf das Sofa gesetzt hatte, denn hier würde er die ganze Zeit das Bild vor sich haben.
    »Eine Allegorie.«
    »Eh?«
    »Das Wandbild. Vielleicht ist das der Ausdruck, den Sie gesucht haben.«
    »Ach so. Ja. Ich glaube…«
    »Es ist in Wahrheit kein Wandbild. Es hängt an der Wand, da mir die Wohnung ja nicht gehört. Trotzdem, mit der Figur des Frühlings bin ich nicht sehr zufrieden. Sie sollte eigentlich locker ausgestreckt – locker ist nicht das richtige Wort – eher selbstvergessen und hingebungsvoll auf diesem großen, weichen Blumenbett liegen. Aber wahrscheinlich wegen des Problems der Haltung und weil die Vulva vollständig zu sehen sein sollte, habe ich das rechte Bein ein bißchen zu steif gemalt. Sie sollte es eigentlich geöffnet und entspannt halten, nicht so verkrampft wie hier. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen.«
    Das war furchtbar. Der Wachtmeister empfand nur Kälte und Ekel, wenn er, was manchmal vorkam, während seines Dienstes mit Pornographie konfrontiert wurde. Doch das hier war etwas völlig anderes, und es ließ ihn überhaupt nicht gleichgültig. Ihm war heiß, er fühlte sich unwohl, und er spürte, wie ihm der Schweiß über den Nacken rann.
    »Dürfte ich bitte mal Ihren Paß sehen?«
    »Meinen Paß?«
    Fido guckte verblüfft. »Aber sicher, wenn Sie unbedingt wollen. Ich hab eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre, wenn Sie…«
    »Nein, nein. Bloß Ihren Paß. Es ist eine reine Formsache.«
    Und sobald er das Zimmer verlassen hatte, stand der Wachtmeister auf und sah sich nach einer anderen Sitzgelegenheit um. Das war nicht einfach.

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