Tod im Palazzo
wenn es geht, selbst wenn ich hier nichts zu tun habe.«
»Sie haben ein sehr enges Verhältnis?«
»Irgendwie schon. Wir haben keine Eltern mehr, nur noch uns beide. Ich glaube, das macht einen Unterschied, Sie hat eine Weile bei mir in Venedig gewohnt, aber es war ihr wohl zu dekadent dort. Ich dagegen liebe Dekadenz – theatralische Dekadenz, wie man sie nur in Venedig findet. Catherine hat es, im Hinblick auf ihren Job, hier wirklich besser. Was ist mit Corsi eigentlich genau passiert? Oder dürfen Sie nichts sagen?«
»Wir wissen noch nicht sehr viel.«
War das nicht übertrieben vorsichtig? Nur wenn er selbst offen redete, würde er auch die anderen dazu bringen, offen mit ihm zu reden. So ist es immer gewesen. Nur so würde er etwas herausfinden können. Wieder mußte er sich daran erinnern, daß diesmal niemand etwas herausfinden wollte – und wenn er etwas herausfand, würde niemand etwas wissen wollen. Aber würde er sich nicht besser fühlen, wenn er von den Dingen sprach, die ihn noch immer bedrückten und ängstigten? Vielleicht. In dem Fall wäre es jedoch besser, seine Erkenntnis für sich zu behalten, da er sonst wirklich Angst haben müßte.
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, wanderten seine Augen über das Regal, in dem diverse beschriftete Gläser, Pinsel und Schwämme standen, wie in einem Künstleratelier, nur daß es hier keine Farben gab. William Yorke folgte seinem Blick und versuchte, sein Schweigen zu interpretieren.
»Verstehe. Sie können nichts sagen. Aber trotzdem, ein Gewehr… jeder hier im Haus muß doch was gehört haben.«
»Nein!« rief der Wachtmeister abrupt. »Niemand.«
»Na ja, es geht mich nichts an. Ich interessiere mich einfach für die Familie – schon wieder Dekadenz, sehen Sie. Anhand der Geschichte dieses Hauses kann man die ganze Geschichte von Florenz verfolgen.«
Der Wachtmeister wollte nicht sagen, daß er dieses Haus schaurig fand, also schwieg er.
»Ich persönlich muß sagen, daß ich dieses Haus schaurig finde«, fuhr William fort. Er wurde dem Wachtmeister immer sympathischer. »Was gäbe ich nicht für die verblichene Farbe und Eleganz von Venedig. Die Florentiner Paläste sind Festungen, die gebaut wurden, um Menschen abzuweisen, nicht, um sie zu empfangen, finden Sie nicht?«
»Ich hatte es mir noch nicht überlegt, aber dieses Haus gefällt mir nicht.«
»Genau! Natürlich gefällt es Ihnen nicht! Das ist auch gar nicht beabsichtigt. Das Haus hat etwas Abweisendes, wie überhaupt die ganze Stadt. Wer hat schon von einer Stadt gehört, wo die vornehmen Häuser all mit dem Rücken zur Straße stehen und die Fassaden und Gärten nach innen zeigen? Ist Ihnen klar, was das über den Charakter der Florentiner sagt? Sie selbst kommen nicht aus Florenz, das höre ich an Ihrem Akzent. Aus Sizilien?«
»Richtig.«
»Dann möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken. Ich vermute, La Ulderighi weigert sich, Sie zu empfangen.«
»Ich habe sie einmal gesehen, aber…«
»Sie müssen sie zufällig gesehen haben – und, was immer mit Corsi passiert ist, wahrscheinlich wird sie verlangen, daß auf Unfall erkannt wird. Sie braucht das Geld.«
»Sie scheinen eine Menge über sie zu wissen…«
»Ja. Catherine erzählt mir natürlich einiges, und wenn ich hier bin, lädt mich La Ulderighi natürlich zum Tee ein.«
»Sie bekommen eine Einladung von ihr?«
»Sicher. Sie gucken so erstaunt.«
»Na ja, ich… ähm… habe gehört, vor allem von Dr. Martelli, daß die Marchesa sich ihren Mietern gegenüber ziemlich hochnäsig verhält. Aber Sie sind ja kein Mieter.«
Williams dunkelgraue Augen blitzten vergnügt auf. »Nein, nein, da liegen Sie falsch. Dr. Martelli – eine sympathische Frau übrigens – kommt aus Mailand, falls Sie das noch nicht bemerkt haben. Sie kommen aus Sizilien, was noch schlimmer ist, geradezu unentschuldbar. Ich dagegen komme aus England, was mich automatisch zu einem Ehren-Florentiner macht. Verstehen Sie jetzt?«
»Ich bin jetzt fünfzehn Jahre hier…« – der Wachtmeister rieb sich mit seiner großen Hand deprimiert das Gesicht –, »und schon vor langer Zeit habe ich beschlossen, daß ich die Florentiner nie verstehen werde. Sie selbst sind bestimmt schon eine ganze Weile in Italien?«
»Eine Ewigkeit. Meine Mutter ist nach der Hochwasserkatastrophe hergekommen, um bei den Aufräumungsarbeiten mitzuhelfen – nicht so feine Sachen, wie Catherine –, einfach Schutt wegschaffen und so. Sie und mein Vater haben
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