Tod im Palazzo
dann ein Bauernhaus in Chianti gekauft, und wir sind in den Ferien immer hierher gekommen. Wir sind noch zur Schule gegangen, als meine Eltern bei einem Verkehrsunfall starben. Wir hätten das Bauernhaus gern behalten, aber wir waren noch nicht alt genug, um allein entscheiden zu können… Jedenfalls hat es uns beide wieder hierher verschlagen, wie Sie sehen. Nach den Erbschaftssteuern und den Schulgebühren und so weiter hatten wir keinen Pfennig mehr. Wenn ich überlege, was dieses Bauernhaus heute wert wäre… Na ja, so sind wir halt. Arm, aber stolz. Aber wir beide machen nur, was uns Spaß macht, und darauf kommt es schließlich an.«
»O ja«, sagte der Wachtmeister, der die Vorstellung, seine beiden jungen Söhne müßten sich elternlos und ohne Geld in der Fremde durchs Leben schlagen, nicht besonders erhebend fand.
»Sie haben vorhin gesagt«, fuhr er fort, »daß die Marchesa Geld braucht. Warum das?«
»Sie wird die Versicherungssumme kassieren wollen. Ich meine, es muß ganz einfach ein Unfall gewesen sein. Wenn nicht, dann…«
»Haben Sie Grund für die Annahme, daß er sich vielleicht umbringen wollte?«
»Mm. Viele Leute haben gute Gründe, sich umzubringen, aber sie tun es nicht. Ich meine, denken Sie nur an die Leute, die sich mit unheilbaren Krankheiten herumquälen, ohne Geld, ohne Freunde, ohne Familie. Es gibt solche Leute, und sie kämpfen weiter. Man muß schon ein Selbstmordtyp sein, und ich hätte ihn nicht für einen solchen gehalten. Nicht, daß man das immer erkennen kann. Sie sollten mit Catherine reden, wenn sie wieder zurück ist. Vielleicht weiß sie etwas, was ich nicht weiß. Man wird hier nicht sehr begeistert sein, wenn Sie Selbstmord vermuten, was?«
»Nein«, sagte der Wachtmeister düster, »nein.«
Der Wachtmeister mochte William Yorke. Er war intelligent, sympathisch. Er wünschte… Na ja, wünschen war zwecklos. Doch im selben Moment, als hätte er seine Gedanken gelesen, machte William zögernd einen Vorschlag.
»Vielleicht… Wenn Sie glauben, es hilft Ihnen weiter, ich könnte mich ja umhören, mit den Leuten plaudern, solange ich hier bin. Eine Einladung zum Tee wird's wohl nicht geben, solange die Dame Trauer trägt, aber ich habe ein gutes Verhältnis zu allen hier, fast allen.«
»Also…«
»Wenn ich dummes Zeug rede, sagen Sie's nur.«
»Nein… Nein. Ich dachte nur, sprechen Sie manchmal mit dem alten Kindermädchen?«
»Der tata? Immer. Ich besuche sie immer und bringe Süßigkeiten mit. Sie erinnert mich an die Hexen in dem schottischen Stück, nur daß sie von der Vergangenheit erzählt und nicht von der Zukunft. Sie ist ziemlich gaga, wissen Sie.«
»Aber Sie besuchen Sie gern?«
»Ich habe Ihnen ja schon von meinem Hang zu Dekadenz und allem Theatralischen erzählt. Sie ist beides, in einem ungeheuren Maß.«
»Ich sollte selbst mit ihr sprechen…«
»Aber sie hat Ihnen mit dem Stock gedroht und Sie aufgefordert, aus dem Haus der Ulderighi zu verschwinden.«
»So ist es.«
Sie lachten wie gute Freunde.
»Bei mir hat sie das auch getan«, räumte William ein. »Es gibt Tage, an denen sie mich nicht erkennt. Fünf Minuten später gehe ich zurück, und sie empfängt mich mit offenen Armen. Oft glaubt sie eines der Ulderighi-Kinder in mir zu erkennen.«
»Aber warum… ich meine, warum…«
»Warum ich mir das anhöre? Ich sammle exzentrische Geschichten. Irgendwann werde ich selbst ein Stück schreiben. Bis dahin führe ich ein Notizbuch… Sie haben doch bestimmt auch eins?«
»Ich… ja, für Informationen…«
»Meins ist auch für Informationen.«
Schnell zog er ein Notizbuch hervor, das nicht viel anders aussah als das Exemplar des Wachtmeisters. »Hören Sie sich das an: Zwei dicke, reiche Damen fahren den Canale Grande entlang. Die eine sagt zur anderen, während sie die zerfallende Pracht vorbeiziehen sieht… Komisch, es heißt doch immer, diese Häuser sind schön.‹ Die andere erwidert: ›Sind sie auch.‹ Daraufhin sieht sie sich die Paläste eine Weile an und sagt schließlich unsicher: ›Innen…‹«
»Ich…«
»Warten Sie! Ein Florentiner Witz: Touristenehepaar steht vor dem Baptisterium. Die Frau liest ans dem Reiseführer vor: Vermutlich zwischen 1059 und 1150 gebaut. Neunhundert Jahre steht es jetzt schon hier!‹ Der Mann daraufhin: ›Wahrscheinlich war es zu teuer, das Ding abzureißen.‹ Verstehen Sie? Ich sammle überall Schätze, und eines Tages werde ich eine Komödie schreiben. Während ich für meine
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