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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Der einen standen noch immer Tränen in den Augen. Der einzige Mann im Zimmer trug einen dunklen Anzug, der ihm viel zu eng war, was bei seiner geringen Körpergröße um so merkwürdiger war. Er stand, seinen Hut vor die Brust haltend, mit dem Rücken zur Wand, als wollte er sich unsichtbar machen oder zumindest nicht auffallen. Der Wachtmeister hätte Mitleid für ihn empfunden; da er jedoch auf dem Land aufgewachsen war, wußte er, daß dieser harmlos aussehende Bursche ebensogut gekratzt und gespuckt hätte, wenn der Streit um einen halben Hektar Land gegangen wäre. In dieser ärmlichen Wohnung, in der es, wie der Wachtmeister fand, stark nach Kanalisation roch, gab es weiß Gott nur wenig, worum man kämpfen konnte. Er hatte die alte Frau gekannt, die hier gewohnt hatte, eine anständige, tüchtige kleine Person, die an schwerer Bronchitis litt. Jeden Winter hatte man mit ihrem Tod gerechnet, aber gestorben war sie an einem heißen Junitag – woran, wußte er nicht, und die Beerdigung hatte an diesem Vormittag stattgefunden.
    Die weinende Frau – wie sich herausstellte, eine Schwester – putzte sich die Nase, aber ihre Tränen flossen unaufhörlich über die Wangen, den Hals, in den Kragen ihres geblümten Kittels.
    »Sie hat es versprochen«, sagte sie, »praktisch auf dem Sterbebett.«
    »Sterbebett, so ein Quatsch!«
    Die dicke Schwägerin, die neben ihr saß, warf ihrer weinenden Nachbann einen angewiderten Blick zu. »Monatelang hast du dich nicht um deine Schwester gekümmert.«
    »Es war im letzten Winter. Ihre Bronchitis war so schlimm, daß ich gedacht habe, das ist das Ende. Ich war diejenige, die gekommen ist und sie gepflegt hat.«
    »Du meinst wohl, um ganz zum Schluß dabei zu sein. Aasgeier!«
    »Aber, aber…«
    Ein schwacher Protest von dem Mann, der sofort versuchte, wieder in der Wand zu verschwinden.
    Der Wachtmeister sah zu der dicken Frau, die jetzt in grimmigem Schweigen dasaß, eine große schwarze Kunstledertasche zwischen den kräftigen Beinen. Die weinende Schwester hatte nach der Tasche greifen wollen und dabei den jungen Carabiniere verletzt. Der Wachtmeister räusperte sich.
    »Also…«
    »Fragen Sie sie, wo die ganze Bettwäsche ist!« kommandierte die dicke Frau.
    »Ich mißgönne ihr die Bettwäsche nicht«, sagte der Bruder fromm.
    »Ach nein? Und was geht dich das an, verdammt nochmal? Deine Schwester besaß keinen einzigen Fetzen, als sie unseren Ivo heiratete, die Bettwäsche stammte aus meiner untersten Schublade, jedes einzelne Stück von meiner Mutter gesäumt…«
    »Wie dem auch sei, aber ich habe ihr die Spitzentischdecken zur Hochzeit geschenkt, sie sollten mir gegeben werden.«
    Die Spitzentischdecken, soviel war dem Wachtmeister klar, befanden sich in der großen Tasche mit der Bettwäsche. Er hatte einen kurzen Blick hineinwerfen können. Seine Mutter hatte ähnliche Tücher, die, wenn überhaupt, nur bei Erstkommunionsfeiern oder Hochzeiten verwendet wurden. Sie waren den Nonnen geschenkt worden, die die Altartücher wuschen. Die in der schwarzen Tasche dort lagen völlig unbenutzt und in Seidenpapier eingewickelt in ihrer Schachtel. Die alte Frau hatte nie Geld für festliche Einladungen gehabt, aber für die herumstreunenden Katzen vom Boboli-Garten waren immer ein paar Münzen von ihrer Rente übrig gewesen. Sie hatte immer so schwach ausgesehen.
    Am besten war es wohl, die beiden Frauen ausreden zu lassen. Irgendwie würde ihnen schon die Luft ausgehen, und er wußte genau, was dann zu tun war. Im Moment gefiel ihm ihre Auseinandersetzung, und zwar um so mehr, je lauter sie wurde. Fast wünschte er, die Szene würde nie aufhören, so daß er nicht allein dastehen würde mit dem Wissen, was er eine Stunde zuvor getan hatte. Er war sich noch nicht im klaren darüber, warum er es getan hatte. Alle Vernunft in ihm hatte protestiert, sogar dann noch, als er mit dem Auto nicht zur Wache zurückgekehrt war, sondern hinaus vor die Stadt gefahren war. Sein Herzschlag hatte hörbar protestiert, als er seine Bitte scheinbar ruhig vorgetragen hatte und er mit seinem Päckchen in Richtung Borgo Ognissanti zum Hauptquartier davongefahren war. Abermals hatte er gelogen, und abermals hatte er das Gewünschte bekommen – beziehungsweise er würde es bekommen, sobald die Antwort aus Rom eintraf. Warum hatte er es getan? Er wußte, was er riskierte. Ihm fiel keine Antwort ein, höchstens die, daß anscheinend jemand anders die Entscheidung gegen seinen Willen getroffen

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