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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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hatte, und nun würde er Lorenzini einweihen müssen und ihn zur Geheimhaltung verpflichten müssen, und er wußte genau, mit welchem Gesichtsausdruck der jüngere, intelligentere Kollege ihn ansehen würde.
    Er guckte auf seine Uhr. Lorenzini sollte inzwischen längst zu Hause sein. Es war nicht fair, ihn so lange warten zu lassen. Der Streit verebbte allmählich. Der Wachtmeister stand auf, die drei verstummten, suchten Zeichen von Anteilnahme oder zumindest Parteilichkeit an ihm zu erkennen. Sein ausdrucksloses Gesicht verriet nichts. Seine Schlichtung war kurz und bündig. Er begann mit der Warnung, die Sache nicht in die Länge zu ziehen und sie nicht in die Hände von Anwälten geraten zu lassen, denn das würde sie mehr kosten, als die Streitobjekte wert waren. Dann schlug er vor, der stumme Bruder solle alles gerecht aufteilen, die Schwester aber als erste wählen können. Dann verließ er das Haus und ging zur Wache zurück, um Lorenzini gegenüberzutreten und ihm zu gestehen, was er getan hatte.

6
    Der gekachelte Korridor mit seinem leicht widerwärtigen Geruch schien sich in unendliche Weite zu erstrecken. Der Wachtmeister, der sich das Paket unter den Arm geklemmt hatte, stapfte voran, ohne daß seine Schritte ein Geräusch machten. Er wußte, daß er schon eine ganze Weile unterwegs war. Das Paket wurde immer schwerer, was aber nicht an seiner Müdigkeit lag. Er wußte, warum. Bei dem Gedanken daran trat ihm der Schweiß auf die Stirn, doch er ging einfach weiter. Manchmal kam er an Leuten vorbei, die ihn stumm ansahen, und er erkannte, daß sie wußten oder zumindest ahnten, was in dem Paket war. Von dem Packpapier ließ sich niemand täuschen.
    Das Gewicht zog an ihm.
    »Nein…«
    Er flüsterte das Wort, als wollte er auf diese Weise verhindern, daß mit dem Paket geschah, was mit ihm geschehen mußte, aber direkt hinter ihm sagte jemand deutlich: »Das ist Corsis Leiche.«
    »Es ist nicht meine Schuld«, wollte der Wachtmeister antworten, aber er wußte nicht, ob man ihn überhaupt hörte. Sein Atem ging schnell, und sein Herz klopfte laut. Er ging immer weiter, da er nicht wußte, was er sonst machen sollte. Ein Mann in einem langen grünen Kittel und Gummistiefeln wischte unablässig über einen winzigen Fleck an der Wand des Korridors, doch der Fleck verschwand nicht, sondern wurde allmählich immer größer. Der Mann hielt bei seiner Arbeit nicht inne und sah sich auch nicht um, als der Wachtmeister näherkam, aber er wußte, was in dem Paket war, und er sagte beziehungsweise dachte laut: »Wenn Sie ihn von hier wegschaffen, tragen Sie die Verantwortung.«
    Aber wie konnte er umkehren? Er hatte den Empfang des Pakets quittiert, ja sogar gelogen, um es zu bekommen. Jetzt würde man es nicht wieder zurücknehmen.
    Draußen vor der Treppe ging es zu wie auf einer belebten Autobahn, aber irgendwelche Geräusche waren nicht zu hören.
    Es waren Leute da, aber niemand achtete jetzt auf den Wachtmeister und Corsi. Zum Glück war er angezogen, in dem Paket waren Kleidungsstücke gewesen, auch wenn es nicht diejenigen waren, die er zum Zeitpunkt seines Todes getragen hatte. Der Wachtmeister hätte es lieber gesehen, wenn es jene Sachen gewesen wären, doch mit diesem Problem konnte er sich jetzt nicht auseinandersetzen. Er hatte geglaubt, er sei mit einem Auto gekommen, aber offenbar hatte er sich geirrt. Wie sollte er die Leiche in einen Bus hineinmanövrieren?
    Niemand achtete auf ihn, und niemand half ihm. Da ihn sein Vorgehen aber mit Scham und Angst erfüllte, konnte er sich ausmalen, was die anderen Leute dachten, und überhaupt, wo wollte er mit seiner furchtbaren Last eigentlich hin? Nach Hause konnte er nicht. Er dachte an seinen Vorgesetzten im Hauptquartier, aber allein die Vorstellung, dort um Hilfe zu bitten, war ihm äußerst peinlich. Man konnte eine Leiche nicht einfach so behalten. Er mußte etwas tun. Er mußte herausfinden, was die korrekte Prozedur war und sich seiner Last entledigen… »Versuchen Sie, ein wenig zu gehen…«
    Er war es leid, ihn zu stützen, aber als er den weißlich-violetten Glanz auf Corsis Gesicht sah, eine Seite dunkel angelaufen, wurde seine Verlegenheit von Mitleid überwältigt. »Nur ein paar Schritte, wenn Sie können. Allein schaffe ich es nicht mehr.«
    Gemeinsam stolperten sie weiter. Es war schon so dunkel geworden, daß man nicht mehr richtig sehen konnte. Der Wachtmeister ging immer weiter, ohne zu wissen, in welche Richtung sie gingen, bis ihm der

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