Tod im Palazzo
Florentiner… Sie sahen einem direkt ins Gesicht und fragten einfach. Woher sollte er wissen, ob er Corsis Sachen tatsächlich der Witwe aushändigen würde? Das war nur die plausibelste Erklärung gewesen, um an sie heranzukommen. Theoretisch jedenfalls hatte er die Ermittlungen zu führen.
Der Wachtmeister wußte, daß sein Unbehagen eine Nachwirkung jenes Alptraumes war, und dieser Alptraum hatte ihm auch klargemacht, daß niemand nach den Sachen des Toten fragen würde, weil sich niemand dafür interessierte. Das aber konnte er dem Gefreiten Lorenzini nicht erklären. Er würde ihm kaum von seinen Alpträumen erzählen. Wie auch immer, das Wichtigste waren jetzt die Schuhe… Statt auf Lorenzinis Frage zu antworten, sagte er: »Ich habe die Jungs vom Labor gebeten, die Fingerabdrücke vorrangig zu untersuchen. Sie werden mir den Gefallen nicht tun, aber zumindest werden sie sich beeilen, und mit etwas Glück könnten wir morgen nachmittag ein Ergebnis haben. Wie es dann weitergeht, ist mir noch nicht klar. Dieser Leo ist mehr als einmal aufgefallen, und wahrscheinlich hat man Fingerabdrücke genommen, die aber sicher vernichtet worden sind. Die Marchesa hat dafür gesorgt, daß es keine Akte gibt. Deshalb wirst du ihn observieren. Das größte Spiel des Turniers steht bevor, und er wird einiges an Aggression abbekommen, sobald er in Erscheinung tritt. Wenn er auch nur einen Fuß in die Gegend von Santa Croce setzt, werden sie versuchen, ihm eine tüchtige Tracht Prügel zu verabreichen, damit er am Turnier nicht teilnehmen kann. Er arbeitet als Türsteher in irgendeinem Club. Stell fest, wo, und postier dich in der Nähe. Das dürfte genügen, denn tagsüber schläft er. Früher oder später wird es zu einem Streit zwischen ihm und seinen Gästen kommen, den du irrtümlicherweise für eine Schlägerei halten kannst. Geh nicht allein los, ruf Verstärkung! Vergiß nicht, er spielt Florentiner Fußball. Gebaut wie ein Panzer, und wahrscheinlich tritt er auch so auf. Er weiß, daß er sich wegen der Marchesa alles erlauben kann. Also, paß auf, und wenn er nur zu einer bedrohenden Geste ansetzt, schnappst du ihn dir, nimmst seine Fingerabdrücke und dann läßt du ihn wieder laufen. Zum Glück ist er nicht als Intelligenzbestie bekannt. Entschuldige dich in aller Form.«
Nachdem Lorenzini gegangen war, stand der Wachtmeister auf und trat ans Fenster, blieb dort lange Zeit stehen und guckte hinaus auf die Lorbeerbüsche im Boboli-Garten, ohne sie oder irgend etwas anderes zu sehen. Die Sache war die – wenn Leo, der brutale Sohn des Portiers, nicht für seine Intelligenz bekannt war, dann galt das auch für den Wachtmeister. Er hatte ein scharfes Auge, das hatte ja dieser junge Engländer namens William gesagt. Ihm fielen einzelne Details auf. Durchaus. Aber eben nur gewöhnliche Details. Es war schön und gut, sich an Corsis geputzte Schuhe zu erinnern, die höchstwahrscheinlich Fingerabdrücke aufweisen würden, wenn jemand ihn weggezerrt oder getragen hatte. Aber wenn er recht hatte und sich tatsächlich herausstellen sollte, daß die Fingerabdrücke von Leo stammten, was dann?
Mein Leiden ist nun vorbei, und es beginnt das deine.
Nach Meinung des Wachtmeisters konnte man diesen Spruch auch auf Corsis Grabstein meißeln. Er stimmte.
Bringen Sie mich nicht in das Haus zurück.
Wie kam es, daß man einem Menschen, den man nicht kannte und mit dem man nie gesprochen hatte, eine so deutliche Stimme geben konnte? Das war seltsam. Und seit jenem Traum stellte er sich Corsi in Wahrheit nicht mehr als einen Mann vor, den er nicht kannte, sondern als einen Menschen, der außer ihm keinen Freund auf der Welt hatte. Seine Frau hatte nur sein Geld haben wollen, um dieses große Haus renovieren und unterhalten zu können – vielleicht fühlte sich der Wachtmeister ihm deswegen so nahe. Er war überzeugt, wie auch sein Traum deutlich zeigte, daß Corsi dieses Haus ebenso haßte wie er selbst. Nicht seine Frau, aber das Haus, das von jeder Generation einen Tribut in Form von Blut und Geld forderte. Nicht daß er an Cinellis Fluch glaubte. Er war nicht der Typ, der auf solche Dinge viel gab, aber dennoch, was für ein Erbe… Seine Kinder würden nicht vor solchen Problemen stehen, denn er war ein Niemand, aber was war andererseits mit der sympathischen kleinen Alten, die die Katzen gefüttert hatte? Sie war auch ein Niemand, und sie hatten sich wie die Geier über die paar Laken und Tischtücher gestürzt. Es war eine
Weitere Kostenlose Bücher