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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Zeit, und wir sollten uns über meinen Vater unterhalten. Mein Vater… ich werde Ihnen alles erzählen. Sie verstehen, daß mir das nicht leichtfällt. Sehen Sie, manchmal ist es schwerer, nicht die gewichtigen Dinge zu gestehen, die man getan hat, sondern die Kleinigkeiten, die miesen, schäbigen kleinen Dinge. Nicht nur mir geht das so. Ich weiß sehr wenig von der Welt. Aber Pater Benigni versichert mir, daß die Leute es oft leichter finden würden, beispielsweise einen Mord zu gestehen als eine kleine, gesellschaftlich inakzeptable… als…«
    Sein Atem stockte, und der Wachtmeister, erschrocken, weil er nicht wußte, worin Neris Krankheit oder Schwäche bestand, und bekümmert über sein Leiden, legte ihm eine väterliche Hand auf die Schulter.
    »Ruhig, ganz ruhig. Sie müssen mir nichts beichten. Vergessen Sie nicht, ich bin kein Pfarrer.«
    »Aber Sie sind etwas sehr Ähnliches, weil… Sie wissen Bescheid… Sie haben Verständnis. Außerdem war Pater Benigni einverstanden, daß ich mit Ihnen rede. Er sorgt sich um meine Gesundheit… ich weiß das, weil… jedenfalls, es ist richtig, und es wäre selbst dann richtig, wenn ich ganz gesund wäre. Sie führen eine Ermittlung, hat man mir gesagt, und ich verschwende Ihre Zeit, denn ich weiß Bescheid. Ich weiß alles, also ist es ganz richtig. Ich bin schwach und feige, aber es gab andere Gründe, andere Leute… Sie sollen nicht zu schlecht von mir denken. Es ist für mich sehr wichtig, obwohl ich Sie gar nicht kenne. Ist das nicht merkwürdig? Ich habe Sie oft beobachtet. Sie gehen sehr langsam, und manchmal bleiben Sie einen Augenblick stehen, als würden Sie mit sich selber reden.
    Dann gehen Sie weiter. Oft wirken Sie so bedrückt. Vielleicht finden Sie es merkwürdig, aber obwohl ich die Gesichter der Menschen von hier oben nicht sehen kann, kann ich oft einschätzen, in welcher Stimmung sie sind. Beispielsweise erkenne ich an der Art, wie Mori, der Portier, das Tor aufmacht, ob er sich mit seiner Frau gestritten hat…«
    »Was vermutlich ziemlich oft passiert.«
    Eine törichte Bemerkung, und der Wachtmeister wußte, daß er nur versuchte, das hinauszuschieben, was er als nächstes hören würde, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, was es war.
    »Sie haben oft Streit.«
    »Und wenn Sie nicht die Leute im Hof beobachten oder sich um Ihre Sammlung kümmern, dann spielen Sie Musik?«
    »Ja. Wußten Sie das? Ich spiele Flöte. Ich habe nur kurze Zeit Unterricht gehabt, weil man glaubte, daß die Stunden mich zu sehr anstrengen würden. Aber ich spiele tatsächlich. Oft wünschte ich…«
    Was er sich wünschte, blieb offen. Der Wachtmeister stellte sich vor, daß es in seinem Leben viel zu wünschen gab. Warum sollte er für ihn aber Mitleid empfinden, so wie für den toten Vater – beziehungsweise den toten Vater seiner Alpträume? Als wäre er der einzige, der sich kümmern konnte. Dieser junge Mann war doch umgeben von Fürsorge und Aufmerksamkeit. Der Wachtmeister konnte nicht anders als direkt, beinahe unfreundlich zu fragen: »Warum ich? Ich habe gehört, daß der Oberstaatsanwalt ein guter Freund der Familie ist. Warum haben Sie ihm nicht alles erzählt?«
    Wurde er bloß wieder benutzt? War dies eine Falle, mit der er sich kompromittieren sollte? Lauerten Tadel und plötzliche Versetzung auf ihn?
    »Gianpiero… ja, aber ich konnte nicht. Sie haben natürlich recht, er ist ein guter Freund meiner… von uns, aber eben deswegen konnte ich ihm nichts erzählen… ich meine, von ihr, nicht über meinen Vater… und es wäre noch schlimmer gewesen, wenn ich hätte zugeben müssen, daß ich… daß ich… Ich habe es Ihnen erzählen wollen. Ich kann es kaum erklären, aber ich habe so viel Zeit, die Menschen zu beobachten, sie kennenzulernen. Ich habe Sie beobachtet, seit es passiert ist, und beim Begräbnis wurde mir klar, daß Sie der einzige Mensch sind, dem ich mich offenbaren konnte.«
    Dem Wachtmeister leuchtete das alles ein. Es war immer dasselbe. Anderer Leute Probleme, anderer Leute Schuldgefühle, anderer Leute Offenbarungen und sogar ihre vernachlässigten Toten. Und weil er wußte, daß es in seinem Beruf um diese Dinge ging, wehrte er sich nicht.
    »Erzählen Sie mir ruhig, was Sie mir zu erzählen haben, wenn Sie glauben, daß es Sie erleichtert.«
    Und da er schon verstanden hatte, welche »miese, schäbige kleine Sache« ihn daran hinderte, das Wichtigere zu erzählen, half er ihm.
    »Wissen Sie, William Yorke hat mir von

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