Tod im Palazzo
Ihnen und Ihrer Münzsammlung erzählt. Seine Schwester scheint Sie sehr gern zu haben. Sie hat ihm erzählt, daß Sie stundenlang hier an Ihrem Tisch vor dem Fenster gesessen und sich mit Ihrer Sammlung beschäftigt haben.«
Er war inzwischen aufgestanden und stand mit dem Rücken zum Fenster, dort, wo der Tisch einmal gestanden haben mußte.
»Vorhin, als ich auf Sie wartete, habe ich selbst hinuntergeschaut. War ziemlich schockiert. Muß Sie ganz schön mitgenommen haben. Ich meine, wir sind schließlich nur Menschen.«
Das war ein Schuß ins Schwarze, dessen Bedeutung sich aber erst später zeigen sollte.
»Ich habe den Tisch weggeschoben.«
Neris Gesicht war dunkelrot angelaufen, er hielt es gesenkt, preßte die Hände aneinander. Der Körper schaukelte leicht, wie der einer alten Frau, die den Rosenkranz betet. »Ich habe ihn weggeschoben, nachdem ich bei Pater Benigni gebeichtet hatte.«
»Ich verstehe.«
Der Wachtmeister entnahm Neris Gesicht, daß er weiterhin zugeschaut hatte. »Und was hat Pater Benigni gesagt?«
»Oh, er war sehr freundlich. Er meinte, daß es eine läßliche Sünde ist, daß ich sozusagen ein Spezialfall bin, denn wenn ich gesund wäre, hätte meine Mutter schon längst veranlaßt, daß ich heirate. Verstehen Sie?«
»Ja… ja.«
Er muß heiraten. Lorenzinis Stimme, aber Grillos Worte. »Ich verstehe völlig.«
»Aber verstehen Sie, es ist ja nicht bloß… er malt sie nicht bloß, sondern…«
Da erst dachte der Wachtmeister an das Porträt von Bianca Ulderighi, und er erinnerte sich, daß die anderen Mieter sie »die Marchesa« nannten oder gar »dieses Mistweib«, während Hugh Fido… »Er hat mich gequält, verstehen Sie. Sehen Sie selbst.
Nur von hier aus kann man es sehen, nur von meinem Fenster aus. Von Anfang an wollte er mich treffen, obwohl ich es zunächst nicht verstanden habe. Das wurde mir erst an dem Tag klar, als er ein Modell sich hinlegen ließ, zum Fenster hin, und sie mußte… Und dann trat er selber ans Fenster und sah hoch. Direkt zu mir. Und, Gott verzeih mir, Gott verzeih mir, selbst dann habe ich weiter zugeguckt, ich konnte nicht anders! Ich habe mich zutiefst geschämt, und habe immer weiter hingeguckt. Ich konnte einfach nicht aufhören. Wer außer Pater Benigni hätte mir denn helfen können?«
»Beruhigen Sie sich! Ruhig!«
Der Wachtmeister kam zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. »Sie vertrauen Pater Benigni, nicht wahr?«
»Ja, völlig.«
»Dann erinnern Sie sich daran, was er Ihnen gesagt hat. Es war nur eine läßliche Sünde.«
»Ich vertraue ihm… Aber eine so furchtbare Kette von Ereignissen! Wie konnte aus einer so kleinen Schuld eine so große werden? Entschuldigen Sie, ich darf mich nicht aufregen und darf Ihre Zeit nicht verschwenden und muß Ihnen all die Dinge sagen, von denen ich Kenntnis besitze.«
Der Wachtmeister hörte aus diesen Worten den kleinen Priester heraus, und das »all die Dinge, von denen ich Kenntnis besitze« gefiel ihm nicht, doch er schwieg dazu.
Neri preßte die Hände ineinander, als betete er insgeheim während des Sprechens, was durchaus der Fall gewesen sein mochte.
»Ich habe gebeichtet. Ich habe gebeichtet, aber keine Buße getan. Ich habe den Tisch, wie versprochen, weggerückt. Miss Yorke kam am selben Tag hoch zu mir. Ich weiß noch… Sie sagte immer, ich soll Catherine zu ihr sagen, und sie war immer sehr freundlich, sehr liebenswürdig. Sie hat mich gefragt, warum… warum ich den Tisch so weit vom Fenster weggestellt habe, ich würde nicht gut sehen können. So war sie, hat an meine Augen gedacht. Sie sind nicht sehr gut. Sie hatte mir eine Schachtel gebracht, die sie irgendwo unter all den Schriftstücken gefunden hatte, eine Dokumentenschachtel mit drei Münzen darin. Nichts besonders Wertvolles, aber sie hat an mich gedacht und an meine Augen, und ich wußte nicht, wie ich antworten sollte, als sie mich fragte. Sie ist so weit entfernt von all diesen Dingen. Für mich sieht sie immer aus wie ein Engel auf einem Fresko, finden Sie nicht?«
»Ich habe Sie noch nicht kennengelernt.«
»Oder vielleicht aus noch älterer Zeit… Ein Weinkrug aus den Albanerbergen, über neun Jahre alt… est in horto, Phylli, nectendis apium coronis; est hederae vis multa, qua crines religata fulges. So langes Haar, von ebenso klarem Gold wie Albanerwein… Und mit Petersilie aus meinem Garten, Phyllis, werde ich dir einen Kranz flechten; mit Zweigen von Efeu werde ich dein glänzendes Haar
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