Tod im Palazzo
den Gehstock, hob ihn an, der Wachtmeister sah die zarte, altersfleckige Haut, die farblos lackierten Nägel und dachte einen kurzen Moment, sie werde ihn schlagen. Er wäre nicht überrascht gewesen.
»Ich möchte Ihnen helfen. Ich möchte wissen, was in diesem Haus passiert.«
Der Wachtmeister, zu verdutzt, um antworten zu können, wurde durch das Eintreten einer Frau mit Teewagen gerettet.
»Hier, hierher! Warum fehlt das warme Wasser schon wieder?… Nein, nein! Ich mach das schon allein, du kannst gehen! Wir kommen auch ohne Wasser aus. Ich möchte nicht mehr gestört werden. Törichtes Weibsbild! Die Dummheit dieser Leute, die nie lernen, etwas richtig zu tun.«
Die Frau hatte den Raum noch nicht verlassen und bekam daher, zum Entsetzen des Wachtmeisters, alles mit. Wenn die alte Marchesa das wußte, dann war es ihr egal.
»Tee!«
Schon wieder! Der Wachtmeister hätte fast laut aufgestöhnt. Aber selbst wenn er es getan hätte, diese Frau wäre darüber hinweggegangen.
»Ich hatte früher ein ausgezeichnetes Butlerehepaar, aber jetzt, seit meine Nichte das oberste Stockwerk vermietet, müssen wir uns mit diesen Leuten zufriedengeben, die täglich kommen und nicht einmal wissen, wie man richtig Tee zubereitet. Sahne oder Zitrone?«
»Ich… Zitrone. Vielen Dank.«
Er würde die Tasse nehmen, aber man konnte ihn kaum zwingen, zu trinken. Behutsam stellte er die Tasse auf das Tischchen.
»Herr Wachtmeister, glauben Sie, daß Buongianni Selbstmord begangen hat?«
Er war verdutzt. Sie war zu schnell für ihn. Was sollte er sagen? Er durfte sich noch nicht festlegen. Verdammt, worauf wollte sie hinaus? Was stand für sie auf dem Spiel?
»Sie antworten mir nicht. Weshalb? Weil Sie es nicht wissen, oder weil Sie es wissen, aber keinen Beweis haben?«
Ging es um das Erbe? Von solchen Dingen hatte er keine Ahnung. Oder war es eine private Abrechnung, ein alter Disput… Hatte sie Buongianni Corsi sympathisch gefunden oder gehaßt?
»Sie sind aus dem Süden, richtig?«
»Sizilien, ja.«
»Hm. Dann werden Sie mir auf eine klare Frage keine klare Antwort geben. Wenn Sie nur wüßten, wie mühselig und unnötig das für einen Florentiner ist.«
Er wußte es durchaus. Es stand seit Jahren in Lorenzinis Gesicht geschrieben, jeden Tag. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht genau, was Sie von mir wollen.«
»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt.«
»Ja. Vielleicht ist die Antwort nicht so einfach.«
Wollte sie wissen, ob er über Mücke Bescheid wußte? Sein einziger echter Beweis. Also, er würde ihr nichts erzählen, solange sie nicht zuvor ihr Motiv darlegte.
»Anscheinend«, fuhr er fort, mit ausdruckslosem Gesicht, während sie sich über ihren Gehstock beugte und ihn aufmerksam ansah, »hat Neri Ulderighi gesehen, wie sich sein Vater oben auf dem Turm erschoß.«
»Man hat ihn im Jagdzimmer gefunden.«
»Ja.«
»Dann wurde er also dorthin geschafft. Von wem?« Aha. Das war es also!
»Nach Aussage Ihrer Nichte von ihr selbst.«
»Unsinn!«
»Wie Sie meinen. Ich habe gesagt: nach Angaben Ihrer Nichte.«
»Es wäre dumm von Ihnen, ihr zu glauben. Buongianni war ein großer Mann. Schwer.«
»Ja.«
Der Wachtmeister erinnerte sich von seinem Traum her noch gut an Corsis Gewicht. »Sie haben in der Nacht also nichts gesehen und nichts gehört?«
Es war sein erster Versuch, das Heft in die Hand zu nehmen, selber zu fragen statt sich ausfragen zu lassen. Ihr schien es nichts auszumachen.
»Nichts. Ich nehme Schlaftabletten. Und wenn ich etwas gehört hätte, glauben Sie, ich hätte dann auf den Turm hochsteigen können? Es ist offensichtlich, in welcher Verfassung ich mich befinde. Ich gehe nie aus der Wohnung, und wenn, dann nur, um mit dem Lift in die Empfangsräume im unteren Stockwerk zu fahren.«
»Ich verstehe. Zum Glück können Sie sich auf den Zwerg Grillo stützen, der mir Ihren Brief gebracht hat.«
Sie sah ihn einen Moment schweigend an, revidierte ihre Meinung von ihm.
»Ich sehe, daß Sie scharfsinniger sind als ich gedacht hatte, Herr Wachtmeister. Ja, Grillo weiß Bescheid über alles, was hier im Haus passiert. Das meinen Sie doch, nicht wahr? Er kommt jeden Tag vorbei und berichtet mir, wie es Neri geht. Wie Sie sich denken können, bin ich selber nicht imstande, nach ihm zu sehen.«
»Aber er könnte herunterkommen.«
»Früher hat er das getan. Jetzt sieht er nur noch den Zwerg, Pater Benigni… und Sie.«
»Und seine
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