Tod im Palazzo
verletzt habe. Vielleicht führen Armeeangehörige ein eher mönchisches Leben.«
Und dazu der Priester, der ständig ein und aus geht! Was für Leute! Nur Neri war anders, es sei denn… Wer sagte denn, daß Neri nicht nach seinem Vater kam? Er war doch ein Corsi, oder? Die Tatsache, daß dies dem Wachtmeister eben erst eingefallen war, deutete aber darauf hin, daß Buongianni Corsi vom Ulderighi-Clan ausgepreßt worden war.
»Buongianni Corsi…«
»Ja. Was ist mit ihm?«
»Haben Sie ihn gern gehabt?«
»Nein. Was ihm auch zugestoßen sein mag, aus meiner Sicht hat er es verdient. Für mich kommt an erster Stelle Neris Gesundheit und Zukunft. Bitte vergessen Sie das nicht. Besuchen Sie ihn. Machen Sie ihm klar, daß die Last, die er trägt, eigentlich die Ihre ist. Neri ist, in gewisser Hinsicht, ein brillanter Kopf, aber in anderer… noch ein Kind. Er sieht eine Autoritätsfigur in Ihnen. Er vertraut Ihnen.«
Sie stützte sich auf ihren Stock und stand auf, den Wachtmeister mit kranken Augen betrachtend. Offensichtlich war das Gespräch beendet. Er erhob sich, streckte ihr die Hand hin, doch die alte Dame hatte sich schon umgedreht und ging mit schweren, mühsamen Schritten zur Tür.
Bevor sie dort ankam, wandte sie sich um und sagte zum Wachtmeister, der ihr hinterhergesehen hatte: »Übrigens, Herr Wachtmeister, wir haben, besser gesagt, meine Nichte hat ein Paket erhalten, in dem die Schuhe waren, die Buongianni zum Zeitpunkt seines Todes getragen hat. Sie wurden uns von der Staatsanwaltschaft übergeben, zusammen mit einem Schreiben, in dem stand, daß Buongiannis Sachen offiziell freigegeben würden und daß Sie die Person seien, an die wir uns wegen des Rests zu wenden hätten. Ist das korrekt?«
»Ich… ja. Ich werde Ihnen die Sachen vorbeibringen.«
»Aus meiner Sicht ist das nicht notwendig, aber wenn es eine Frage der korrekten Abwicklung ist, dann können Sie sie natürlich vorbeibringen. Geben Sie sie beim Portier ab.«
9
Von nun an bis zu dem Moment, als er Catherine Yorkes Brief las, bewegte sich der Wachtmeister noch vorsichtiger als je zuvor in seinem Leben – und er war von Natur aus ein vorsichtiger Mensch. Er bewegte sich vorsichtig, doch immer in derselben Richtung, im Visier die Marchesa Bianca Maria Corsi Ulderighi Della Loggia. Nie sah er sie, nie sprach er mit ihr, noch versuchte er es, aber sie war sein Opfer. Er wußte es instinktiv, ohne es begründen zu können. Sie machte ihm Angst, das Haus machte ihm Angst, der Gedanke an das, was sie getan hatte, machte ihm Angst. Nur zwei Dinge gaben ihm Mut. Erstens die Tatsache, daß Fiorenza Ulderighi ebensoviel Angst vor ihrer Nichte hatte wie er, und zweitens die Aushändigung der Schuhe.
»Die sind der einzige Beweis, den Sie haben!« protestierte Lorenzini.
»Ich weiß«, sagte der Wachtmeister zufrieden. Diese Geschichte leuchtete ihm ein, vielleicht als einzige. Ein paar merkwürdige Figuren, Florentiner und Ausländer, hatten ihn vor ein Rätsel gestellt, und langsam hatte er die Nase voll. Endlich war etwas passiert, was ihm logisch erschien. Ein wichtiges Beweisstück war verschwunden. Er hätte in Palermo sein können! Die Bedeutung dieser Fingerabdrücke hatte sich bestätigt, ihr Verschwinden zeigte, daß jemand Angst hatte. Der Wachtmeister war hocherfreut, während Lorenzini die Sache als hoffnungslos aufgeben wollte.
Im Hauptquartier Borgo Ognissanti, auf der anderen Seite des Arno, erklärte der Wachtmeister, noch immer vorsichtig auftretend, seinem Vorgesetzten, dem Hauptmann, das eigentliche Problem mit den Schuhen.
»Ich weiß nicht, was sie damit gemeint hat. Wahrscheinlich wußte sie nichts davon, ich meine von den Fingerabdrücken, so daß mit ihrer Bemerkung ›Wenn es eine Frage der korrekten Abwicklung ist‹…«
»Genau das hat sie damit gemeint. Guarnaccia, Sie neigen wirklich dazu, aus einer geraden Linie barocke Schnörkel herauszulesen.«
Der Wachtmeister guckte nur verständnislos. Dann sagte er: »Ich möchte nicht versetzt werden. Teresa… Die Art und Weise, wie die Schuhe aus dem Labor entfernt wurden… und zwar vermutlich anständig geputzt… die Botschaft der Ulderighi… es ist ein Warnschuß.«
»Ja, ich verstehe Ihre Überlegung.«
Der Hauptmann sagte nicht: »Natürlich werden Sie nicht versetzt, so ein Quatsch.«
Der Wachtmeister saß da, die Hände auf den Knien, und sah ihn zuversichtlich an, in seiner Reglosigkeit und mit seinen leicht hervortretenden Augen wie eine
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