Tod im Schärengarten
Verzehren mitgebrachter Käsebrote.
Volksfest. Heute klang allein schon das Wort wie Hohn.
Hans Rosensjöös Laune war düster. Aber trotz seiner depressiven Stimmung hatte er mit charakteristischer Entschlossenheit den Tag damit verbracht, das Chaos zu bewältigen, das auf das Ereignis gefolgt war. Das Telefon hatte ununterbrochen geklingelt. Wenn nicht irgendein Journalist dran war, der ihn mit Fragen löcherte, waren es schockierte Klubmitglieder und Funktionäre, die sich bei ihm meldeten.
Rosensjöö war ein Mann von altem Schrot und Korn. Ein rechtschaffener Bürger, der sich den Wahlspruch des alten Königs bedingungslos zu eigen gemacht hatte: Die Pflicht geht immer vor. Er hatte als Reserveoffizier der Marine den Rang eines Korvettenkapitäns erreicht und war als ehrbarer, anständiger Mensch von hoher Moral bekannt. Als geschäftsführender Vorstand hatte er den wechselnden Konzernchefs seiner Bank loyal gedient, aber nun würde er bald in Rente gehen und von seinen Kollegen verabschiedet werden.
Er hätte sich nie träumen lassen, dass die letzten Monate seiner langen Amtszeit als Vorsitzender des KSSS von einem kaltblütigen Mord an seinem Nachfolger überschattet sein könnten.
Noch nie zuvor hatte er bei der Eröffnung einer Sitzung ein solches Gefühl von Ohnmacht und Lustlosigkeit gehabt. Er griff zum altehrwürdigen hölzernen Sitzungshammer und schlug damit auf den Tisch. Die Sitzung war eröffnet.
Rechts von ihm saß der Schriftführer und zweite Vizevorsitzende des KSSS , Ingmar von Hahne. Er hatte einen unbenutzten Schreibblock vor sich, daneben lagen zwei frisch gespitzte Bleistifte. Im Moment saß er mit gesenktem Kopf da und starrte auf das schneeweiße Papier. Am kleinen Finger seiner linken Hand glänzte der Siegelring mit dem Adelswappen.
Da saß ein Mann, dessen größte Begabung in seiner gesellschaftlichen Gewandtheit und seiner piekfeinen Herkunft bestand, dachte Rosensjöö säuerlich. Niemand konnte bei einem Dinner so charmant mit den Damen plaudern wie Ingmar. Niemand tanzte so elegant wie Ingmar. Auf dem Ball der königlichen Klubs war er der Favorit der Königin. Aber er war kein Vollblutkerl, der Oscars Platz ausfüllen konnte.
Hans Rosensjöö ließ den Blick um den Tisch wandern, bis er bei Martin Nyrén ankam, dem Vorsitzenden des Intendentkomitees, der kleine Figuren auf seinen Block malte. Neben ihm saß der dicke Arvid Welin, Vorsitzender des Klubkomitees und ein bekannter Mann in der Finanzbranche. Beide machten verkniffene Gesichter.
Hans Rosensjöö räusperte sich.
»Lasst uns mit einer Schweigeminute für unseren verstorbenen Kameraden Oscar Juliander beginnen«, sagte er und senkte den Blick.
Er hielt fünfundvierzig Sekunden durch, dann fand er, dass es reichte.
»Vielen Dank, dass ihr alle so kurzfristig kommen konntet«, begann er. »Das hier ist eine Situation, auf die wir natürlich überhaupt nicht vorbereitet sind.«
Er schwieg einige Sekunden und suchte nach den richtigen Worten.
»Wir müssen zuallererst an den Fortgang der Regatta und den guten Ruf des KSSS denken. Es sind eine Reihe von Beschlüssen zu fassen.«
Er räusperte sich wieder.
»Sind wir uns darüber einig, die Regatta ganz normal fortzusetzen? Dass wir Oscar ehren, indem wir sie zu Ende bringen?«
Alle Anwesenden nickten zustimmend. Noch immer hatte kein anderer das Wort ergriffen. Das Schweigen bedrückte ihn, ohne dass er wusste, wieso.
»Ich glaube, dass Oscar es so gewollt hätte«, fügte er lahm hinzu. Dann atmete er tief durch und betrachtete die Mitglieder des Vorstands.
»Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass wir in größtmöglichem Umfang mit der Polizei zusammenarbeiten müssen.«
»Herr Vorsitzender, ich bitte ums Wort«, meldete sich Arvid Welin. Auf seiner Glatze glänzte der Schweiß. »Hans, wer soll denn jetzt auf der Jahresversammlung im September zu deinem Nachfolger gewählt werden? Oscar war ja schon nominiert. Und du kannst nicht noch einmal antreten.«
Hans Rosensjöös Gereiztheit wuchs. Arvid war so ein kleinkarierter Formalist. Was spielte das an einem Tag wie diesem für eine Rolle?
»Wir finden eine Lösung«, sagte er ausweichend. »Eins nach dem anderen.«
Er war sieben Jahre alt, als er zum ersten und einzigen Mal in der Mittagspause weinend nach Hause kam. Er war gerade in die erste Klasse der Privatschule Broms auf Östermalm gekommen, nicht weit von der großen, prächtigen Wohnung, die ein paar Hundert Meter vom Karlaplan entfernt
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