Tod im Schärengarten
zu nehmen. Er erklärte, dass seine Mutter sich hingelegt habe, er sie aber sofort holen werde.
Sie setzten sich auf das große Ecksofa, dessen Bezug aus einem merkwürdigen Material war, fast wie Wildleder. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick aufs Meer.
Während sie warteten, dachte Margit über die Frau nach, die sie gleich kennenlernen würden. Wie mochte sie sich in diesem großen Haus gefühlt haben, wenn ihr Mann seinen Abenteuern nachging und die Kinder sich mit ihren eigenen Dingen beschäftigten?
Sie konnte sich vorstellen, wie Sylvia in der eleganten Villa von Zimmer zu Zimmer ging, während sie auf ihren Mann wartete. Ihr konnte kaum entgangen sein, was er so trieb. Vielleicht hatte sie Oscar anfangs sogar Vorhaltungen gemacht, dann aber gelernt, dass es besser war, die bittere Wahrheit zu schlucken, um ihre Ehe nicht aufs Spiel zu setzen.
Sie musste sehr einsam gewesen sein, besonders nachdem die Kinder ausgezogen waren, dachte Margit.
Nach einer Weile kam Sylvia Juliander ins Zimmer. Sie war blass, aber dennoch gefasst. Das braune Haar umrahmte ihr schmales Gesicht, und ihr war deutlich anzusehen, dass die Ereignisse der letzten Tage sie sehr mitgenommen hatten.
Ihr Sohn nahm neben ihr Platz und sah seine Mutter besorgt an. Offenbar wollte er ihr eine Stütze sein, so als wäre er ein Elternteil und sie das Kind.
»Sie haben Fragen?«, sagte Sylvia zögernd mit leiser Stimme. Ihre schmalen Finger zupften nervös an einem losen Faden ihrer blauen Strickjacke. Die gepflegten Nägel waren in einem hellen Ton lackiert.Am linken Ringfinger trug sie einen großen Saphir zusammen mit dem abgenutzten Ehering.
Thomas durchbrach die Stille.
»Frau Juliander, Sie werden sich denken können, dass wir im Moment alles daransetzen, die Person zu finden, die Ihren Mann getötet hat. Deshalb ist es notwendig, dass wir Ihnen einige Fragen stellen, die Sie vielleicht als merkwürdig oder unangenehm empfinden. Wir bedauern das.«
Sylvia nickte.
»Wissen Sie, ob Ihr Mann Feinde hatte?«
Auf dem blassen Gesicht erschien ein erschrockener Ausdruck.
»Warum sollte er Feinde haben? Oscar war Wirtschaftsjurist. Alle mochten ihn. Er war sehr gefragt.«
»Es ist wichtig, dass Sie darüber nachdenken, auch wenn die Frage Ihnen seltsam vorkommt«, sagte Thomas. »Wir versuchen, uns ein Bild über das Leben Ihres Mannes zu machen, sowohl sein berufliches als auch sein privates.«
Thomas lächelte die trauernde Witwe aufmunternd an.
»Ich verstehe, aber ich habe nie von irgendwelchen Feinden gehört«, sagte Sylvia. »Über Oscars Geschäfte weiß ich natürlich wenig. Er wollte mich damit nicht langweilen, sagte er immer. Ich würde sowieso nichts davon verstehen.«
David Juliander wirkte gequält. Er beugte sich vor, so als wollte er gleich aufspringen.
»Papa hat Drohbriefe bekommen«, sagte er, als seine Mutter geendet hatte.
Thomas musterte den Jungen, der unter der Sonnenbräune müde aussah. Die Trauer hatte sich wie eine dünne Haut über seine Gesichtszüge gelegt.
»Von wem?«, fragte Thomas.
»Ich glaube, der Name war irgendwas mit Property, ich weiß nicht mehr genau. Jedenfalls was mit Immobilien.«
»Woher wissen Sie das?«
»Einmal hatte ich aus Versehen einen Brief geöffnet. Es ging um eine Firma, deren Insolvenzverwalter mein Vater war. Er erzählte, dass die bisherigen Eigentümer irgendwas mit der russischen Mafia zu tun hätten. Sie versuchten, das Unternehmen zu plündern, aber bevor sie dazu kamen, ging die Firma Konkurs.«
»Sind Sie da ganz sicher?«, hakte Margit nach.
David sah sie verwirrt an. Er war nur ein Junge, der gerade seinen Vater verloren hatte, dachte Thomas.
»Ziemlich. Als die Russen scheiterten, versuchten sie Papa zu überreden, den Insolvenzantrag niederzuschlagen. Was natürlich unmöglich war, weil der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon Rechtsgültigkeit erlangt hatte.«
Thomas fiel auf, dass der junge Juliander schon juristische Begriffe verwendete. »Rechtsgültigkeit erlangen« waren keine Worte, die ein 22-Jähriger normalerweise in den Mund nahm. Sofern er nicht Jura studierte oder vielleicht der Sohn eines Anwalts war, was ja in diesem Fall beides zutraf.
»Was ist mit den Briefen passiert?«, fragte Margit.
»Mein Vater hat sie zur Polizei gebracht, glaube ich.« David sah sie mit unsicherem Blick an. »Aber so genau weiß ich das nicht mehr. Das war letztes Jahr, oder vielleicht vorletztes. Papa meinte jedenfalls, ich
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