Tod im Schärengarten
Versuch, ihn zu besänftigen.
»Ich war nur ein bisschen überrascht«, sagte sie und legte den grauweißen Lappen weg. Der fiel schon fast auseinander, sie musste daran denken, bei Westerbergs Livs einen neuen mitzunehmen, wenn sie das nächste Mal einkaufen fuhr. »Aber vielleicht ist es ja ganz gut, eine professionelle Meinung zu hören. Hauptsache, er hat nicht das Gefühl, umsonst gekommen zu sein.«
Henrik sah sie fragend an.
»Wie meinst du das?«
»Na ja … Es ist doch noch gar nicht entschieden, ob wir die Villa verkaufen. Wir haben doch nur mal locker darüber gesprochen.«
»Aber du kannst ja wohl nicht im Ernst wollen, dass wir da einziehen. Möchtest du in einem Haus wohnen, das einer Mörderin gehört hat?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Anrichte.
Nora spürte, wie ihre Laune ins Bodenlose sank. Sie blickte aus dem Fenster und bemerkte aus den Augenwinkeln eine Gruppe Touristen. Mit geübter Hand wurden sie von einem Schärenführer durch den Ort gelotst, während er über Sandhamns Geschichte und die Lebensbedingungen der Inselbevölkerung in früheren Zeiten sprach.
Sie fragte sich, ob das Leben damals einfacher gewesen war. Vermutlich nicht, nur anders.
Instinktiv nahm sie eine Verteidigungshaltung ein.
»Sprich nicht so. Tante Signe war ein feiner Mensch«, erwiderte sie schärfer als beabsichtigt. »Sie hat mir das Haus nicht hinterlassen, damit ich es sofort verkaufe. Sie wollte, dass ich mich darum kümmere. Sie hat die Brand’sche Villa über alles geliebt.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt«, brauste Henrik auf. »Sie hat zwei Menschen umgebracht, schon vergessen? Sei doch nicht immer so verdammt loyal. Zwei Menschen sind gestorben, nur weil sie nichts von ihrem Besitz abgeben wollte.«
Henrik machte keinen Hehl daraus, wie frustriert er war, und Nora warf ihm einen unglücklichen Blick zu. Sie war hin und her gerissen zwischen ihrer Loyalität zu Signe und dem starken Wunsch, die Dinge nicht noch schlimmer zu machen. Sie wollte wirklich nicht schon wieder Krach mit Henrik.
»Komm«, sagte sie in versöhnlichem Ton, »lass uns nicht darüber streiten. Wir treffen uns mit dem Makler und hören mal, was er sagt. Schaden kann es ja nicht.«
Sie schmiegte sich an ihn. Er roch nach Kaffee und Rasierwasser, und als sie seinen Duft einatmete, wurde ihr gleich leichter zumute. Zärtlich stupste sie ihn mit der Nase in die Halsgrube.
Henrik ließ sich von dem offensichtlichen Friedensangebot besänftigen.
»Das meine ich auch. Alles wird gut, du wirst sehen, Nora.« Er strich ihr übers Haar. »Ich will doch nur das Beste für uns. Und für die Kinder. Kannst du das nicht verstehen?«
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Kapitel 16
Thomas trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem grünen Geländer vor dem Eingang der Rechtsmedizin in Solna. Nach dem Besuch in der Kanzlei Kalling waren sie auf direktem Weg hierher gefahren.
Das Rechtsmedizinische Institut lag auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses, direkt vor den Toren Stockholms. Es war ein unscheinbares rotes Backsteingebäude, ebenso wie viele andere Häuser rundherum. Hier und da sahen Thomas und Margit Studenten über die Rasenflächen schlendern, vermutlich Gasthörer der sogenannten Sommer-Universität.
»Meine Güte, wie lange dauert es denn, eine Tür zu öffnen!«, sagte Thomas, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Ungefähr so lange, wie man braucht, um von den Untersuchungsräumen am anderen Ende des Gebäudes zur Eingangstür zu gehen, wenn ich mich recht erinnere«, erwiderte Margit. »Immer mit der Ruhe, er kommt sicher gleich. Sei froh, dass sie unsere Leiche vorgezogen haben und wir nicht bis Ende der Woche warten müssen.«
Thomas sagte nichts dazu, hörte aber auf, mit den Fingern zu trommeln.
Ein Schatten tauchte hinter der weiß geriffelten Glastür auf, und dann stand Doktor Oscar-Henrik Sachsen vor ihnen.
»Tut mir leid, dass es etwas gedauert hat«, murmelte er. »Im Juli haben wir keine Mitarbeiter, die an die Tür gehen können.«
Margit und Thomas folgten ihm durch einen langen Korridor, dann eine Wendeltreppe hinauf und durch einen weiteren Korridor. Schließlich erreichten sie die Untersuchungsräume, eine Ansammlung stiller, gesichtsloser Zimmer, deren grauweiße Linoleumböden in grau gestrichene Wände übergingen. Auf einer langen Anrichte lagen und standen verschiedene Instrumente und Schalen aus Edelstahl.
Sie nickten grüßend einem Assistenten im weißen Kittel zu, der damit
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