Tod im Tal der Heiden
aufmunternden Lächeln an, denn sie saß blaß und steif da in der ungewohnten Rolle als Angeklagte vor einem Brehon. Sie schaute mit ausdrucksloser Miene in die Ferne. Eadulf fuhr fort.
»Ich bin hier, um für die Freilassung Fidelmas von Cashel auf Grund ihres Ranges zu plädieren.«
Laisre schüttelte den Kopf und lehnte sich zu Murgal hinüber.
»Tut er das zu Recht?«
Murgal ignorierte die Frage des Fürsten. Schließlich war er der Brehon und hatte hier den Vorsitz.
»Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, Angelsachse. Fidelma von Cashel wird des Mordes beschuldigt. Selbst hoher Rang gewährt in dieser Hinsicht nicht automatisch solche Rechte.«
»Dem möchte ich widersprechen. Das
Berrad Airechta
sagt, wenn ich den Text richtig verstanden habe, daß selbst bei einer Anklage wegen Mordes der Verdächtige, wenn er von prinzlichem Rang ist und einen guten Ruf hat und die Beweislage unklar ist, durch Entscheidung eines Brehons auf freien Fuß gesetzt werden kann, bis die neun Tage abgelaufen sind, nach denen die Verhandlung stattfinden muß.«
Fidelma sah Eadulf anerkennend an. Er hatte die Zeit gut genutzt. Allerdings zweifelte sie, ob dieses Gesetz unter den gegebenen ungünstigen Umständen genügen würde, um ihr die Freiheit zu verschaffen.
»Du hast dich gut belesen«, sagte Murgal, ebenfalls voller Anerkennung. »So lautet das Gesetz tatsächlich. Nun erkläre mir, weshalb du meinst, ich sollte es in diesem Fall anwenden.«
Eadulf machte eine nervöse Kopfbewegung.
»Du wirst mich verbessern, wenn ich mich irre?« fragte er.
»Worauf du dich verlassen kannst«, versicherte ihm Murgal mit grimmigem Humor.
»Die Kommentare zu dem Gesetz, so wie ich sie verstehe, besagen, daß der Status und der Ruf des Verdächtigen bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Will jemand vor diesem Gericht bestreiten, daß Schwester Fidelma hochadligenStatus und Rang besitzt, nicht nur durch ihre Abstammung, sondern auch durch ihre Ausbildung als
dálaigh
?«
Es entstand Bewegung unter den Menschen im Saal.
»Das haben wir nie bestritten«, erwiderte Murgal mit müder Stimme.
»Will jemand vor diesem Gericht die Tatsache in Zweifel ziehen, daß Schwester Fidelma einen untadeligen Ruf besitzt und ihr Name nicht nur in Cashel, sondern auch in den Hallen von Tara mit Hochachtung genannt wird?«
Wieder schallte seine Stimme herausfordernd durch den Raum, und es herrschte Schweigen.
»Niemand bezweifelt das«, bestätigte Murgal.
»Dann müßt ihr nach dem Gesetz einwilligen, wenn Schwester Fidelma den Eid
fír testa
ablegt, wie ihr ihn nennt, dann müßt ihr ihr Wort als Sicherheit akzeptieren, falls nicht beschworene Beweise gegen sie vorliegen. Daraufhin kann Schwester Fidelma das Gericht auf Grund ihrer eigenen Sicherheitsleistung verlassen.«
Laisre sah Murgal scharf an, eine Augenbraue fragend hochgezogen, doch Murgal schüttelte den Kopf und sagte zu Eadulf: »So lautet das Gesetz. Wie du sagst, können wir ihren Eid akzeptieren, wenn nicht ein beschworener Beweis gegen sie vorliegt. Aber wir haben einen Zeugen, dessen Aussage ihren Eid ungültig macht.«
Fidelma hatte das kommen sehen. Sie hatte genug Fälle erlebt, die vor sachkundigen Brehons verhandelt wurden, und war sich sicher gewesen, daß Murgal wußte, daß eine entsprechende Aussage eines Augenzeugen des Mordes den Eid, auf den sich Eadulf berufen hatte, ungültig machte. Auch wenn der Zeuge oder die Zeugin nur berichtete, waser oder sie gesehen zu haben
glaubte,
so wurde dadurch die Aussage nicht anfechtbar, falls nicht während der Anhörung bewiesen wurde, daß sie falsch war.
Eadulfs Blicke suchten Artgal, der grinsend im hinteren Teil des Saals stand.
»Dann laß deinen Zeugen vortreten«, forderte Eadulf kühl. »Laß ihn aussagen.«
»Er wird in der Verhandlung in neun Tagen aussagen«, erwiderte Murgal scharf. »Jetzt ist nicht die Zeit dafür.«
»Er muß jetzt aussagen!« beharrte Eadulf und erhob die Stimme, um das Gemurmel der Leute zu übertönen. »Heute geht es um die Gültigkeit von Fidelmas Eid, und wenn sein Zeugnis diesen Eid ungültig macht, dann muß er es jetzt ablegen.«
Murgal schluckte schwer. Er starrte den Angelsachsen mit einer Mischung aus Überraschung und wachsender Bewunderung an. Der hatte einen juristischen Kniff angewendet, um Artgals Aussage zu prüfen, ohne auf die Verhandlung zu warten.
Artgal stolzierte nach vorn, noch bevor Murgal ihn dazu aufforderte.
»Hier bin ich, Angelsachse«, verkündete
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