Tod im Tal der Heiden
er prahlerisch, »und ich ändere meine Aussage nicht, auch wenn du noch so angibst und tust, als wärst du ein
dálaigh
.«
Murgal war das feindselige Auftreten Artgals offensichtlich unangenehm.
»Artgal«, verwarnte er ihn scharf, »der Angelsachse ist fremd in unserem Land. Wir wollen ihm beweisen, daß wir die Gesetze der Gastfreundschaft achten, indem wir ihn achten.«
Artgals Miene blieb höhnisch. Er schwieg.
Eadulf blickte den Brehon dankbar an, dann wandte er sich dem Krieger zu.
»Ich verlange nicht von dir, daß du deine Aussage änderst, Artgal«, begann er ruhig. »Ich betrachte das, was du berichtet hast, als das, was du zu sehen geglaubt hast.«
Mehrere Leute holten überrascht Luft, und selbst Fidelma schaute Eadulf verwundert an und fragte sich, was er mit dieser Taktik bezweckte.
»Warum willst du ihn dann vernehmen?« wollte Murgal wissen und stellte damit die Frage, die sich ihr auch aufgedrängt hatte.
»Entschuldige, Murgal«, – Eadulf bat ihn geradezu –, »ich brauche an dieser Stelle einen Rat zu diesem Gesetz.«
Fidelma war nicht die einzige, die sich fragte, ob Eadulf nicht merkte, welchen Vorteil er damit aus der Hand gab, daß er Artgals Aussage nicht weiter verfolgte und zu erschüttern suchte. Fidelma schien das der einzig logische Weg zu sein.
Murgal räusperte sich vernehmlich.
»Nun, mein Rat lautet, wenn du Artgal nicht vernehmen willst, um ihn zur Änderung seiner Aussage gegen Fidelma zu veranlassen, dann muß er nicht vorgeladen werden, und seine Aussage gegen Fidelma bleibt bestehen. Wenn das so ist, entfällt damit auch dein Antrag auf Freilassung Fidelmas.«
Artgal lachte spöttisch auf und wollte zu seinem Platz zurückgehen.
»Bleib, wo du bist!« rief Eadulf scharf.
Dieser Ton kam so überraschend, daß Artgal verblüfft stehenblieb. Alle Blicke richteten sich auf Eadulf, als könne niemand glauben, daß der Bittsteller von eben so hart redenkönne. Selbst Fidelma war einen Augenblick verwirrt von seinem strengen Befehlston.
Eadulf wandte sich wieder an Murgal.
»Ich habe meine Frage noch nicht gestellt«, sagte er ruhig, wenn auch ein leichter Vorwurf mitschwang.
Murgal blinzelte überrascht.
»Dann sprich weiter«, forderte er ihn auf.
»Ich weiß nicht viel über die Verfahrensweise bei Gericht, aber ich habe den Text ›Fünf Wege zum Urteil‹ zu Rate gezogen. Artgal gilt als ein Zeuge der Art, die ihr
fiadú
nennt, ›einer, der sieht‹.«
»Das ist richtig«, bestätigte Murgal.
»Der Text besagt, daß ein solcher Zeuge vernünftig, ehrlich, gewissenhaft und von gutem Gedächtnis sein muß.«
»Das bin ich alles, Angelsachse«, schaltete sich Artgal ein und entspannte sich lächelnd. »Also, was soll’s?«
Eadulf ignorierte ihn und fuhr fort: »Erklär mir, gelehrter Richter, was bedeutet der gesetzliche Grundsatz im Text, der da lautet:
foben inracus accobar
?«
Die Frage hörte sich ganz harmlos an, aber plötzlich trat Stille im Saal ein.
»Er bedeutet, daß ›Gier die Ehrlichkeit vermindert‹«, übersetzte Murgal, obgleich jeder ahnte, daß Eadulf das genau wußte.
»Das heißt also, daß eine Person nicht aussagen kann, wenn ihr das einen Vorteil bringt, nicht wahr? Ihr Zeugnis wird dann nicht angenommen wegen dieses gesetzlichen Grundsatzes.«
Die Stille war so tief geworden, daß Fidelma meinte, man könne es hören, wenn ein Sandkorn zu Boden fiele. Siefragte sich, zu welchem Ziel Eadulf mit seiner Argumentation gelangen wolle. Er hatte sich jetzt Artgal zugewandt, dessen Miene nicht mehr verächtlich war. Sein Gesicht war ernst und etwas blaß geworden.
»Artgal, ziehst du einen Nutzen aus deiner Aussage gegen Fidelma von Cashel?«
Artgal gab keine Antwort. Das Sprechen schien ihm schwerzufallen.
Nach einigen langen Augenblicken sagte Murgal langsam und deutlich: »Zeuge, du mußt antworten – und denke daran, du stehst unter Eid nicht nur als Angehöriger des Clans, sondern auch als ein bevorzugtes Mitglied der Leibwache unseres Fürsten.«
Artgal merkte, welch schlechten Eindruck sein Zögern machte, und versuchte, seine Haltung zurückzugewinnen.
»Weshalb sollte ich daraus einen Nutzen ziehen?«
»Eine Gegenfrage ist keine Antwort auf die Frage, die ich dir gestellt habe«, fuhr ihn Eadulf an. »Hast du einen Nutzen von deiner Aussage?«
»Nein.«
»Nein? Du hast einen Eid geleistet.«
»Nein.«
»Wieder nein? Muß ich dich daran erinnern, daß ein Betrag von zwei
séds
bereits den Besitzer gewechselt hat
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