Tod im Tauerntunnel
schiebt den Aktenberg von der rechten auf die linke Schreibtischseite, stellt das Radio an, sucht, bis er das klassische Konzert findet, und fixiert Karl Gächter, den schlaksigen Kriminalmeister, der ihm gegenübersitzt.
»Schon gehört?« fragt der.
»Mhm, der Jarosewitch... Weiß man schon was?«
»Das ist wohl der verrückteste Mord seit langem«, grinst Gächter, der um nichts in der Welt bereit gewesen wäre, seine Story anders zu erzählen als so, wie er sie sich zurechtgelegt hat.
»Na dann, wenn du mal Zeit hast, kannst du's mir ja erzählen«, sagt Bienzle, der um nichts in der Welt seine Neugierde eingestanden hätte, und griff nach der Akte Pedro Calvari.
»Paß auf«, sagt Gächter, »der Jarosewitch war wohl auf der Fahrt nach Bologna zum Boxkampf.«
»Alle Ganoven treffen sich bei den Boxkämpfen, das ist nicht neu«, mault der Kommissar.
»Richtig. Also, er fährt mit seinem Mercedes 450 SE von Badgastein zur Auto-Verladestation am Tauerntunnel - was weiß ich, warum er den Umweg gemacht hat; durch die Schweiz nach Mailand und von da Autobahn ist viel näher... Na ja; Geschäfte wahrscheinlich. Jedenfalls, irgendwo kurz vor der Verladestation muß ihn der Täter überholt haben.«
»Du hast den Fall wohl schon gelöst? Woher willst du das denn wissen?«
»Weil ich da auch schon gefahren bin. Also: Jarosewitch zahlt seine Gebühr und fährt auf den Autozug... Verstehst du mich?«
»Nein, das ist mir zu kompliziert. Aber nimm keine Rücksicht.«
»Also: Er fährt da rauf, macht seinen Liegesitz lang und streckt sich aus. Der Zug fährt los, und zwar so, daß die Autos sozusagen rückwärts fahren.«
»Sozusagen.«
»Rein in den Tunnel. Und da ist es stockfinster.«
»Was du nicht sagst!«
»Der Täter sitzt drei oder vier Autos vor Jarosewitch. Jetzt macht er vorsichtig die Deckenbeleuchtung aus, öffnet die Tür, läßt sich hinausgleiten, schleicht an den Wagen entlang, unterhalb der Fenster, so daß man ihn nicht sehen kann, bis zum Mercedes von unserem Schmuckmillionär. Dann schnellt er plötzlich hoch, richtet seinen Revolver auf Jarosewitch, drückt ab, läßt sich fallen, kriecht zurück, schlüpft wieder in sein Auto und läßt sich gemächlich in die Polster sinken und nach Mallnitz kutschieren.«
Bienzle schaltet das Radio aus. »Spannend, spannend... Und wie sieht er in der Dunkelheit, wo er hinschießen muß?«
»Taschenlampe.«
»Sieht man doch. Fällt auf.«
»Ach, das merkt doch niemand. Ich meine, da macht doch jeder mal Licht.«
» Mündungsfeuer? «
»Das gleiche. Da hat sich jemand 'ne Zigarette angesteckt.«
»Und den Schuß hat keiner gehört?«
»Mitten im Tunnel? Und vielleicht hat er sogar noch einen Schalldämpfer gehabt.« »Mhm ...«
»In Mallnitz auf der anderen Seite des Tunnels wird die Rampe wieder angebracht; die Autos fahren nach vorne runter. Der Täter fährt, dann der nächste, dann der übernächste und so weiter. Und dann wäre Jarosewitch dran. Aber der fährt nicht. Liegt da ruhig in seinem zurückgestellten Sitz und fährt nicht. Der Hintermann hupt. Hupt einmal, zweimal - der Mercedes rührt sich nicht von der Stelle. Jetzt steigt der Fahrer aus, und von vorn kommt ein Bahnbeamter. Sie erreichen den Mercedes zur gleichen Zeit und sehen den Toten. Da liegt er mit einem Loch im Kopf, und das Blut rinnt ihm am Nasenbein entlang.«
»Do guckscht«, murrt Bienzle, der sich sonst eines gepflegten Amtsdeutsches bedient. »Du solltest dich mal beim Fernsehen als Kriminalschreiber bewerben.«
»Außerdem hat der Chef gesagt, du sollst gleich rüberkommen, wenn du da bist.«
»Das fällt dir jetzt erst ein?« schimpft Bienzle, und dann brüllt er: »Mensch, iß nicht, solange ich zugucken muß!«
»Du gehst ja jetzt zum Chef«, grinst Gächter und beißt von seinem Leberwurstbrot ab. Und dann: »'tschuldige, ich hab ganz vergessen, daß du wieder mal erfolgreich hungerst.«
An der Tür dreht sich Bienzle noch einmal um und fragt: »Und der Täter?«
»Was ist mit dem Täter?«
»Ja eben - was ist mit ihm? Hat man ihn gefaßt?«
»Das sollst ja wohl du tun. Bis die auf dem Zug gemerkt haben, was los war, ist der doch längst davongefahren.«
»O du liabs Herrgöttle von Biberach, wia hent di d' Mucke verschissa!«
Mit diesem seinem Lieblingsspruch zieht Bienzle die Tür leise hinter sich zu.
Der Chef der Kriminalpolizei, Direktor Häuser, Schwabe wie Bienzle, kennt den Leiter der Mordkommission seit gemeinsamen Schultagen. Sie waren
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