Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
erröten.
„Also wirklich, ich muss mich für das Benehmen der Mädchen entschuldigen…“
„Ach was. Wir selbst sind in dem Alter wahrscheinlich auch eine Zumutung für alle anderen gewesen. Ich bewundere wirklich alle Eltern und Lehrer, die damit Tag für Tag zurechtkommen müssen und ihr Bestes tun, den Kindern auf ihrem Weg zum Erwachsensein beizustehen.“
Gott, ich klinge wie ein pompöser Saftsack, bemerkte John und er räusperte sich. Doch Ms. Murray lächelte ihm dankbar zu – und sie hatte wirklich ein ganz reizendes Lächeln, wie John bei sich feststellte – und machte sich dann ebenfalls in den Waschraum auf, um den noch fehlenden Mädchen ein wenig Beine zu machen.
Bis alle bereit standen, hatte John den Entschluss gefasst, mit den Mädchen zuerst in den mittelalterlichen Palast zu gehen. Dieser war nur wenige Schritte entfernt und konnte mit seinen detailgenauen Nachbildungen einen lebendigen Einblick ins höfische Leben des dreizehnten Jahrhunderts geben. Er zeigte ihnen den Empfangsraum Edwards I und sein prächtig ausgestattetes Schlafgemach.
Für Edward, der sich den Beinamen „Hammer der Schotten“ durch blutige Schlachten gegen das freiheitsliebende Volk im Norden verdient hatte, hatte John insgeheim wenig übrig. Er stellte sich vor dem königlichen Bett in Positur.
„Obwohl der König während seiner über dreißigjährigen Regentschaft nur dreiundfünfzig Tage hier im Tower verbrachte, wurde an nichts gespart, um es ihm so bequem wie möglich zu machen. Die edelsten Stoffe und Hölzer wurden für die Einrichtung verwendet. Seine Kerzen wurden aus farbigem Wachs gezogen, was für die damalige Zeit ein ungeheurer Luxus war. Durch den großen offenen Kamin hatte er es schön warm und er verfügte auch noch über etwas ganz Besonderes –“ Damit zog John schwungvoll den schweren Vorhang beiseite, der eine Wandnische verdeckte.
„Was ist das?“
Die Mädchen drängten heran, um einen Blick zu erhaschen. In der Nische führte eine gepflasterte Stufe zu einem halbhohen, weiß gekalkten Mäuerchen, das oben von einem dunklen, glänzend polierten Brett abgedeckt war, in dessen Mitte ein rundes Loch prangte. Ausnahmsweise stumm sahen die Schülerinnen ihn erwartungsvoll an.
„Das ist des Königs Privattoilette, mit direktem Abfluss in die Themse, eine sehr moderne Errungenschaft für eine mittelalterliche Festung.“ Den angeekelten Blicken nach zu urteilen, sorgte diese Einrichtung bei den jungen Damen für wenig Begeisterung. John beeilte sich, die Gruppe weiter in Richtung der Räume von Heinrich III zu führen. In einem Durchgang erregte ein Gemälde das Interesse der Mädchen. „Der grüne Affe“ von George Stubbs brachte etwas Farbe in den ansonsten düsteren gemauerten Gang.
„Wieso hängt hier ein Affenbild?“
„Weil der Maler, George Stubbs, es im achtzehnten Jahrhundert hier im Tower nach einem lebenden Modell gemalt hat. Bis dahin hatte man in England so gut wie noch nie einen Affen gesehen.“
„Hier im Tower gab es Affen?“ Nun waren die Mädchen ganz Ohr. „Es gab Nashörner, Kamele und Bären in unseren Mauern. Soll ich euch ein bisschen von dem königlichen Zoo erzählen?“ Auch wenn einige der Schülerinnen gelangweilt dreinschauten, die Mehrheit nickte begeistert.
„Die Tierhaltung im Tower begann just mit Heinrich III, dem Vater Edwards. Der bekam 1235 von einem anderen König drei Löwen geschenkt. Natürlich wussten die Menschen hier nicht, wie die Tiere zu halten und zu füttern waren, deshalb überlebten die Raubkatzen nicht lange. Ein paar Jahre später wurde Heinrich III ein Eisbär zum Geschenk gemacht und dann sogar ein Elefant. Als der Elefant zu Fuß das letzte Stück seiner langen Reise aus Afrika hier in London zu Fuß zurücklegte, liefen Leute von nah und fern zusammen, so eine große Sensation war das. Immer mehr exotische Tiere fanden hier ihre Heimat, unter anderem ein Grizzlybär, Zebras, Tiger, Strauße, Hyänen, Geier, Schlangen und ein Stachelschwein.
Im siebzehnten Jahrhundert wurde auf dem Gelände der Festung der heute nicht mehr erhaltene Lion Tower gebaut, in dessen Hof die Raubkatzen Auslauf bekamen. Gegen ein Eintrittsgeld konnte jedermann die Tiere besichtigen, so wie heute im Zoo.
Als vor rund zweihundert Jahren große Zirkusunternehmen begannen, durch das Land zu reisen und ebenfalls exotische Tiere zur Schau zu stellen, wollten immer weniger Leute die Tiere im Tower sehen und so wurden sie 1835 dem neu eröffneten Zoo
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