Tod im Weinkontor
und dort Licht in das
Dunkel um den Tod ihres Bruders zu bringen.
Die Kolonne fuhr noch, als die Dunkelheit sich schon über
das weite Land zwischen Köln und Aachen gelegt hatte.
Fackeln steckten in seitlichen Halterungen an den Wagen, doch die
zuckenden Flammenzungen vermochten die Finsternis kaum zu
durchdringen. Das mahlende Rumpeln der Räder, das
gleichmäßige Hufgetrappel und das gelegentliche
Schnauben der erschöpften Pferde wirkten einschläfernd
auf Elisabeth. Immer wieder sank ihr der Kopf auf die Brust. Sie
hoffte, dass sie bald zu einer Herberge kämen, wo die
erschöpften Menschen und Tiere wenigstens eine kurze
Ruhepause einlegen konnten. Doch Heinrich war wie besessen.
Elisabeth sah, wie sein dunkler Umriss auf dem vorderen Wagen
unruhig hin und her schwankte. Immer wieder knallte dort vorn die
Peitsche.
Etwa auf halber Strecke zwischen Aachen und Köln erbarmte
sich Heinrich schließlich und ließ die Kolonne bei
einem kleinen, windschiefen Gasthaus an der zerfurchten
Straße anhalten. Nur Elisabeth und einem der Kutscher wurde
erlaubt, das Innere zu betreten und sich dort auf der harten
Ofenbank ein Lager für die Nacht zu suchen. Heinrich selbst
und die anderen Kutscher und Knechte mussten bei der wertvollen
Wagenladung bleiben. Ihnen wurde ein wenig Suppe und Bier
hinausgereicht, und es wurden Wachen eingeteilt, damit sich
niemand an dem Wein zu schaffen machen konnte.
Elisabeth war es recht so. Wenigstens brauchte sie nun nicht
die Gegenwart ihres Gemahls zu ertragen. Sie nahm sich eine der
harten Decken, die ihnen der mürrische Wirt gereicht hatte,
und wickelte sich darin ein. So vieles ging ihr durch den Kopf,
dass sie trotz ihrer Müdigkeit nicht einschlafen konnte. Sie
lauschte den gleichmäßigen Atemzügen der wenigen
Reisenden, die so weit wie möglich voneinander entfernt in
der Schankstube lagen, und überlegte, wie sie nach ihrer
Ankunft in London vorgehen sollte. Heynrici hatte gesagt, ihr
Bruder habe vermutlich im Stalhof etwas Schlimmes entdeckt. Also
lag es nahe, dort mit den Nachforschungen zu beginnen.
Unruhig wälzte sie sich auf der harten Holzbank hin und
her. Was war, wenn sie in ein Wespennest stach? Wenn sie sich
zufällig an jene Männer wandte, die Ludwigs Feinde
gewesen waren? Wenn sie seinen Mördern gegenüberstand,
ohne es zu wissen? Nein, der Stalhof war für sie zu
gefährlich. Zunächst durfte dort niemand den wahren
Grund ihrer Anwesenheit erfahren. Sie brauchte unbedingt einen
Vertrauten. Aber sie kannte niemanden in London. Sie sprach nicht
einmal Englisch. War diese ganze Reise bloß eine
unüberlegte Narretei? Doch ihr blieb nichts anderes
übrig. Sie hatte ihren Bruder so sehr geliebt, dass sie
alles tun würde, um seinen Mörder zu finden.
Am Morgen erwachte sie erst, als Albert, der Kutscher, sie bei
der Schulter packte. Sie riss die Augen auf und blickte in das
bärtige Gesicht des alten Mannes, der offenbar eine bessere
Nacht hinter sich hatte als sie selbst. »Kommt,
Bonenbergerin, Euer Gemahl wartet schon auf Euch. Er ist sehr
unleidlich.«
Elisabeth stand auf und rieb sich die steif gewordenen
Glieder. Noch ein wenig benommen setzte sie sich auf den Wagen.
Sofort rollte die Kolonne los. Heinrich hatte seiner Frau nur
einen bösen Blick zugeworfen und sie keines Wortes
gewürdigt. Wahrscheinlich würde er mich liebend gern
zurückschicken, dachte sie. Oder mich wilden Tieren zum
Fraß vorwerfen. Sie kicherte leise.
Während der ereignislosen Fahrt kehrten ihre Gedanken zu
der Frage zurück, wie sie in London vorgehen sollte. Sie
brauchte wirklich unbedingt einen Verbündeten. Lange
steckten ihre Gedanken in einer Sackgasse. Sie dachte daran, was
Ludwig ihr von der großen Stadt an der Themse erzählt
hatte.
Eine Erinnerung durchfuhr sie. Es war ein Name, den Ludwig ihr
einige Male genannt hatte. Der Name eines englischen Tuche- und
Weinhändlers, mit dem er viele Geschäfte getätigt
hatte: Edwyn Palmer.
Elisabeth erinnerte sich daran, dass Ludwig und Palmer nicht
in einem sehr engen, freundschaftlichen Verhältnis
zueinander gestanden hatten, aber Ludwig hatte von seinem
Geschäftspartner stets als Ehrenmann gesprochen. Elisabeth
nahm sich vor, sich auf die Suche nach ihm zu machen. Nachdem sie
diesen Entschluss gefasst hatte, ging es ihr besser.
In allen sieben Nächten der ermüdenden,
anstrengenden Reise schlief Heinrich Bonenberg bei seiner
kostbaren Fracht.
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