Tod im Weinkontor
reisen.
Heinrich musste etliche Fässer Wein nach England bringen
und von dort Tuche holen, die er mit hohen Gewinnen in Köln
zu veräußern hoffte. Er hatte sich einen Platz auf dem
Schiff des Kölner Handelsherrn Hermann Rinck erkauft, das in
zwei Wochen von Antwerpen aus nach London in See stechen
würde. Also war Eile angebracht.
Heinrich stand im Hof des Bonenberg-Hauses und
überprüfte die Anzahl der Fässer auf den Wagen,
die erst kurz zuvor vom Rheinhafen ausgeladen worden waren. Er
nahm hauptsächlich Rheinwein mit, den er vor kurzem noch von
einem Winzer geliefert bekommen hatte, der die Fässer
eigentlich für den eigenen Gebrauch hatte lagern wollen,
doch Bonenberg hatte ihm einen so guten Preis gemacht, dass der
Mann nicht hatte ablehnen können. Es war ein großes
Risiko für Heinrich, denn wenn er im Stalhof auf seinen
Fässern sitzen blieb, war er ruiniert.
Gleichzeitig hatte Bonenberg dem Winzer schon die nächste
Ernte vollständig abgekauft und auch dafür eine
große Summe Geldes bezahlt. Kein Wunder, dass er nun
nervös war und das Verladen der Fässer persönlich
beaufsichtigte. Wenn auch nur eines zerschellte oder auslief,
konnte das seinen Untergang bedeuten.
Er lief wie ein tollwütiger Hund zwischen Wagen umher,
prüfte nochmals die Fässer und zählte sie immer
wieder durch.
Elisabeth schaute ihm zu und versuchte sich ein Lächeln
zu verkneifen.
»Fünf Fässer fehlen!«, schrie er
plötzlich und rannte noch einmal los, um die Anzahl zu
überprüfen.
Es blieb dabei.
»Frantzens Georg ist mit seinem Fuhrwerk an der
Salzpforte aufgehalten worden. Der Weinakzisemeister wollte den
Wein probieren und danach die Steuer festsetzen, während er
uns andere durchgelassen hat«, rief einer der Kutscher vom
Bock aus.
»Was fällt diesem Verrückten ein!«,
erboste sich Heinrich. »Wir müssen aufbrechen, wenn
wir das Schiff in Antwerpen erreichen wollen.«
Da ertönte Hufgetrappel von der Rheingasse her, und
endlich bog auch der letzte Wagen durch die große Einfahrt
in den Hof ein. Rasch überprüfte Heinrich die Ladung
und war endlich zufrieden. Sie saßen auf. Elisabeth winkte
kurz ihren Mägden zu, die sich im Hof versammelt hatten, und
verließ das Bonenberg’sche Anwesen zum ersten Mal
seit ihrer Eheschließung für eine wirklich lange Zeit.
Sie sehnte sich nach dem Neuen – und nach der Wahrheit
über den Tod ihres Bruders.
Laut rumpelten die Fuhrwerke durch die Rheingasse, vorbei an
Sankt Martin mit seinen mächtigen Türmen und der
gewaltigen Apsis, durch kleine Straßen voller Menschen und
Karren, durch stille Gassen, in denen nur Hunde und Gänse
vor den niedrigen Fachwerkhäusern umherstreiften, bis die
Karawane die Minoritenstraße erreicht hatte. Elisabeth sah
den Turm und den Kran von Sankt Kolumba und dachte an
Andreas.
Auf der Breiten Straße kamen sie schneller voran, alle
machten dem Kaufmannszug Platz. Elisabeth ließ die Blicke
schweifen. Überall stachen die Kirchtürme in den
Himmel, als wollten sie ihn durchlöchern. Vereinzelte
Rauchfahnen stiegen aus hohen Kaminen auf und wirkten wie
gespenstische weiße Schatten der Glockentürme. In der
Ferne wurde die große Ehrenpforte, das westliche Stadttor,
sichtbar. Schnell hatten sie es erreicht. Die Torwächter
kannten Heinrich Bonenberg gut und ließen ihn rasch
durch.
Als Elisabeth die freien Felder und Wiesen sah, erinnerte sie
sich an den Ausflug nach Melaten. Als sie am Morgen nach Hause
zurückgekommen war, hatte ihr Mann sie zwar streng
angeschaut, aber nichts über ihre nächtliche
Abwesenheit gesagt. Er hatte ihr einfach mitgeteilt, dass er noch
heute nach London aufbrechen werde, da gestern Abend sein
jüngst eingekaufter Wein im Hafen eingetroffen sei.
Elisabeth hatte sofort gefragt, ob sie mitkommen dürfe, und
Heinrich war sehr erstaunt über ihre Bitte gewesen, denn sie
hatte ihn noch nie auf einer Reise begleitet, aber
schließlich hatte er zugestimmt. Sie war voller Zuversicht.
In London musste sie etwas erfahren. Der alte Heynrici hatte
gesagt, Ludwig habe dort Schreckliches gehört. Elisabeth
wollte jede Gelegenheit wahrnehmen. Sie hatte zwar keine Zeit
mehr gehabt, Andreas von ihrer Abreise in Kenntnis zu setzen,
aber die Mägde und Diener würden ihm schon von ihrer
Englandfahrt erzählen.
Hoffentlich hatte sie richtig gehandelt. Nun war sie auf ihren
Gatten angewiesen. Sie war ihm ausgeliefert. Und das für die
ungewisse
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