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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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darin
überhaupt der Grund für seinen Tod? Als sie wieder
aufschaute, sah sie knapp vor sich ein großes Weinfass an
der Fassade eines heruntergekommenen Gebäudes hängen.
Kein Schild verriet, wer der Besitzer dieses Hauses war. Die
Fenster hatten keine Verglasung, sondern in den oberen
Stockwerken nur dünne Lederhäute, die vor die Rahmen
genagelt waren. Unrat klebte an den Mauern und lag vor der weit
offen stehenden Tür. Von drinnen schallte lautes Grölen
und Lachen heraus.
    Es musste sich um ein Wirtshaus handeln. Ludwig hatte nichts
von einem solchen öffentlichen Haus gesagt. Es konnte nicht
das Palmer-Haus sein, aber vielleicht erfuhr sie ja drinnen
etwas, denn bestimmt kannte der Wirt jeden Weinhändler in
der Gegend. Elisabeth fasste sich ein Herz und stieg die wenigen,
mit Stroh übersäten Stufen hinab zum Eingang der
Schankstube.
    Als sie den dunklen, stinkenden Raum betrat, wurde es leise.
Jemand pfiff durch die Zähne, als sie mit zögernden
Schritten auf den Wirt zuging, der hinter einem großen
Weinfass hockte, auf dem etliche zerbeulte Zinnkannen standen.
»Edwyn Palmer?«, fragte sie. »Wo kann ich Edwyn
Palmer finden?«
    Der Wirt erhob sich langsam. Seine lederne Schürze wies
etliche dunkelrote Flecken auf. Er wirkte eher wie ein
Fleischer.
    Er brabbelte etwas, das Elisabeth nicht verstand, es schien
kaum eine menschliche Sprache zu sein. Kurz darauf setzte
schallendes Gelächter ein.
    »Edwyn Palmer?«, fragte Elisabeth noch einmal. Sie
kam sich unsagbar lächerlich vor.
    Der Wirt grinste sie an, wie ein Käufer über eine
besonders schöne und billige Ware grinst. Er nahm einen der
Krüge auf, die offenbar gefüllt waren, und streckte ihn
ihr entgegen.
    Als sie noch überlegte, wie sie sich verhalten sollte,
griff jemand von hinten um ihre Hüfte. Sie zuckte zusammen.
Der Griff wurde fester. Das Lachen lauter. Sie versuchte sich zu
befreien. Sie konnte ihren Angreifer nicht sehen, er stand
unmittelbar hinter ihr. Seine Hände wanderten höher.
Stahlen sich unter ihren Mantel. Fuhren grob an ihrem ganzen
Körper entlang. Elisabeth war starr vor Entsetzen und
Erniedrigung. Sie wollte um Hilfe schreien, doch nur ein
Krächzen kam ihr über die Lippen. »She wants
it!«, schrie jemand. »She’ll get it!« Sie
verstand die Bedeutung der Worte nicht.
    Plötzlich hielten die Hände inne. Versteiften sich.
Er hatte es bemerkt. Und begriff.
    »O Lord!«, ertönte es dicht hinter ihrem Ohr.
Sie wurde weggestoßen. Das Gelächter verstummte. Sie
drehte sich um. Sah ihren Angreifer an. Es war ein großer,
stämmiger Mann mit einem zerrissenen Wams, einer
großen Nase und wunderschönen blauen Augen, die vor
schrecklicher Angst geweitet waren. Er hob abwehrend die
Hände. »Witch!«, rief er. »Wicked
Witch!« Alle Bewegungen in dem dunklen Schankraum
erstarben. Entsetzt rannte Elisabeth auf die Tür zu. Niemand
hielt sie auf. Sie hastete die Stufen zur Thames Street hoch und
lief in Richtung der Guildhall, in die sie sich retten wollte.
Mehrfach sah sie sich um, aber niemand folgte ihr. Die Leute auf
der Straße warfen ihr verständnislose Blicke zu. Sie
zwang sich, etwas langsamer zu gehen, und fühlte sich erst
sicher, als sie an dem großen Portal der Guildhall klopfte
und ihr der junge, linkische Mann mit dem zu kleinen Wams
freundlich öffnete. Sofort suchte sie ihr Zimmer auf und
verriegelte die Tür von innen. Sie warf sich auf das weiche
Bett und weinte.
    Das Wort, das der Wüstling ihr entgegengeschleudert
hatte, war ihr ebenfalls unbekannt, doch es gab für sie
keinen Zweifel, was es bedeutete.
    Hexe.

 
ZWÖLF
     
     
    Sie traute sich den ganzen Tag nicht, ihr Zimmer zu verlassen.
Nur zum Abendessen ging sie hinunter in den großen
Speisesaal und war erstaunt über den Prunk, der hier
entfaltet wurde. An den holzgetäfelten Wänden hingen
Ölgemälde und Teppiche mit allegorischen Darstellungen,
und das Geschirr auf den Tischen war aus Gold und Silber. Ein
älterer, kleiner Mann wies ihr einen Platz an einem der
langen Tische an, und sie speiste in Gesellschaft von zwei
Kaufleuten aus Köln, die im Eisenhandel tätig waren.
Mit ihnen tauschte sie viele Geschichten aus ihrer Heimatstadt
aus, während sie von den Schafswürsten mit Rosinen, dem
Hühnerbraten mit goldrotem Eierüberzug und dem
Entenbraten in saurer Rotweinsauce kostete und dazu einen
vorzüglichen Hippocras trank. Ihr Gemahl war nirgendwo zu
sehen.

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