Tod im Weinkontor
und Schildern der Handwerker und in den
wenigen verbliebenen Pfützen sowie in der Gosse, in der eine
seltsame, nicht gerade wohlriechende Mischung von
Flüssigkeiten schwamm. Einige der Passanten neigten den Kopf
vor Andreas und murmelten »Gelobt sei Jesus
Christus«, andere schauten ihn mit unverhohlener Neugier
an. Er musste ein seltsames Bild abgeben: völlig
erschöpft, mit inzwischen schief sitzendem Priesterrock,
hochrotem Kopf und schrecklich außer Atem.
Und das Buch war fort. Andreas sah die Breite Straße
hinauf und hinab und ging schließlich in Richtung
Ehrenstraße und Ehrenpforte. Offenbar hatte das Buch in
Ludwigs Fall doch eine Bedeutung. Oder hatte der Krämer es
ihm nur gestohlen, weil er glaubte, es zu gutem Geld machen zu
können?
Je weiter er kam, desto kleiner wurden die Häuser, desto
einfacher wurde das Fachwerk, desto schlechter waren die
Wände verputzt. Hier lösten gegerbte Häute das
Glas in den Fenstern ab, sodass die Straße dunkler
wirkte.
Irgendwo vor ihm gab es einen Aufruhr. Gänse gackerten,
laute Stimmen plapperten aufgeregt durcheinander, sodass man kein
Wort verstehen konnte, und eine Hellebarde blitzte im
Sonnenschein auf. Neugierig näherte sich Andreas dem
Auflauf.
In der Mitte stand eine abgerissene Gestalt, der man die
Hände auf den Rücken gedreht hatte. Andreas erkannte
sie sofort wieder. Es war der Krämer, der ihm das Buch
gestohlen hatte. Mit neuer Hoffnung hastete er auf die Gruppe zu.
Zwei Büttel, einer davon mit Hellebarde, hatten ihn zwischen
sich genommen und untersuchten einen gleißenden Handspiegel
mit reicher Vergoldung sowie das kleine Buch. Andreas
drängte sich an den Neugierigen vorbei, die lauthals
forderten, der Dieb solle in den Turm gebracht werden, und
stellte sich vor die Büttel.
»Das Buch gehört mir«, sagte er hastig.
»Dieser Mann hat es mir vorhin gestohlen.«
Der Büttel mit der Hellebarde, ein vierschrötiger
Kerl mit einem riesigen Bart, meinte: »Verdammter Kerl,
haben ihn gerade erwischt, wie er diesen Spiegel auf dem Weg hat
mitgehen lassen. Das Buch gehört Euch?«
»Nein, es gehört ihm nicht«, sagte der Dieb
schnell und grinste Andreas an. »Es gehört niemandem.
Es sucht sich seinen Herrn selbst. Und dieser Priester will doch
wohl nicht behaupten, dass ihm ein so gotteslästerliches
Werk gehört.«
Der Büttel, der den Dieb mit der einen Hand im Griff
hielt, hob mit der anderen das Buch vor seine Nase. Andreas
dachte fieberhaft nach. Es stimmte, der Inhalt des Bandes war im
höchsten Maße gotteslästerlich. Würde er
sich der Gefahr aussetzen, vor das Inquisitionsgericht geladen zu
werden, wenn er sich als Eigentümer des Büchleins
ausgab?
»Ein gotteslästerliches Werk?«, fragte der
Büttel mit der Hellebarde und legte die Stirn in Falten. Er
nahm seinem Freund das Buch ab und blätterte es unbeholfen
mit einer Hand durch. Es war deutlich zu erkennen, dass er nicht
lesen konnte. Innerlich atmete Andreas auf.
»Bei diesem Buch handelt es sich um eine Sammlung
frommer Gebete in gutem Latein, aufgeschrieben nur zu dem Zweck,
uns Priester und gebildete Laien zu erbauen«, sagte er
rasch und streckte die Hand danach aus. »Dieser Schuft hat
es mir entrissen, als ich soeben Zwiesprache mit Gott
hielt.«
»Er lügt!«, rief der Dieb und versuchte sich
aus dem Griff des Büttels zu befreien. »Dieser
angebliche Priester ist ein Teufelsbündner!«
»Lest doch selbst«, meinte Andreas zu den
Bütteln. »Dann werdet Ihr sehen, dass es nichts als
Gebete sind.«
»Wir können nicht lesen«, gaben sie
gleichzeitig zu.
»Dann will ich euch daraus vorlesen«, erbot sich
Andreas.
»Gebt ihm das Buch nicht!«, warnte der Dieb.
»Er will euch verhexen.«
Die versammelte Menge raunte und wich vor den vier
Männern zurück.
»Glaubt ihr einem dahergelaufenen Dieb etwa mehr als
einem Mann Gottes?«, fragte Andreas und versuchte, die
ganze Autorität seines Amtes hervorzukehren. Der
Büttel, der das Buch in der Hand hielt, sah zweifelnd von
dem Dieb zu Andreas und wieder zurück. Schließlich
händigte er dem Priester widerstrebend das Buch aus.
»Es muss zu meinem Meister zurückkehren. Ihr macht
einen schrecklichen Fehler!«, schrie der Dieb.
Andreas nahm das Buch mit zitternden Fingern an sich. Kurz
traf sich sein Blick mit dem des Diebes. Er sah Hass und Angst.
Todesangst.
Andreas schlug das Buch auf und tat so, als lese er das
Paternoster. Die Büttel
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