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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sie.
    Gleich einem Tier war Heinrich über sie hergefallen und
hatte sie wie ein lebloses Stück Fleisch missbraucht. Die
Wucht der Empfindungen zwang sie in die Knie. Sie lehnte sich
gegen eine schmutzige Backsteinmauer, vergrub das Gesicht in den
Händen und weinte. Da wurde plötzlich das Portal des
Kontorhauses aufgerissen.

 
DREIZEHN
     
     
    Durch einen Tränenschleier sah Elisabeth, wie eine junge,
blonde Frau ohne Kopfbedeckung die wenigen Stufen in den Hof
hinunterschritt. Dann hörte sie ein rumpelndes Geräusch
von der Straße her. Kurze Zeit später bog ein Fuhrwerk
in die Toreinfahrt und blieb im Hof stehen. Es versperrte
Elisabeth die Sicht. Worte wurden zwischen der blonden Frau und
dem Kutscher gewechselt. Sie hörte weitere Stimmen und viele
Schritte, und körperlos scheinende Hände entluden den
Wagen von der anderen Seite. Er hatte große Stoffballen
geladen, Brokate, Leinen, Damast und Samte. Die Arbeit ging
schnell und ohne viel Aufhebens vor sich, und bald hatte der
Wagen den Hof wieder verlassen. Nur noch die blonde Frau stand
dort und sah dem Fuhrwerk nach. Strähnen ihres Haares hatten
sich aus dem Knoten am Hinterkopf gelöst und hingen ihr
beinahe bis zum Kinn. Sie atmete schwer, sie schien mit angepackt
zu haben. Elisabeth hatte nicht die Kraft, aufzustehen oder auch
nur aufrecht zu sitzen. Angesichts der Normalität in diesem
Kontorhaus erschien ihr die eigene Vergewaltigung in der
vergangenen Nacht umso schrecklicher. Sie presste die Beine
zusammen und schaute die junge Frau von unten herauf an.
    Sie hatte Elisabeth endlich bemerkt und kam herbeigelaufen.
Die rasche Annäherung machte Elisabeth Angst.
Unwillkürlich streckte sie die Hände in einer
abwehrenden Geste aus. Sie kam sich so schwach vor, so
erniedrigt, sie konnte unmöglich mit Edwyn Palmer sprechen.
Was hatte sie sich bloß eingebildet? Aber sie war hier und
musste das Beste aus dieser Lage machen.
    Die junge Frau sagte etwas zu ihr, das sie nicht verstand, und
beugte sich zu ihr hinunter, ohne ihr aber zu nahe zu kommen.
»Hilfe«, murmelte Elisabeth nur, als sie in die
blauen, so sanften Augen der blonden Frau schaute.
    »Ihr seid eine Deutsche?«, antwortete die Frau in
Elisabeths eigener Sprache. In ihren Worten schwang der
melodische Tonfall des Rheinischen mit. Elisabeth sah sie
erstaunt an.
    Elisabeth nannte ihren Namen und murmelte: »Palmer. Ich
suche Edwyn Palmer.« Die Pflicht gegenüber ihrem toten
Bruder war doch stärker als ihr eigenes Leid.
    »Er ist mein Gemahl«, erwiderte die junge Frau.
»Ich bin Anne Palmer.«
    »Ihr seid keine Engländerin.«
    »Nein, ich stamme aus Aachen. Darf ich Euch aufhelfen
und ins Haus begleiten?« Sie streckte Elisabeth die Hand
entgegen, die sie nun dankbar ergriff.
     
    Anne Palmer führte sie in die Wohnstube, die weitaus
ärmlicher war, als Elisabeth es in einem Handelshaus
erwartet hatte. Es gab nur ein paar alte, wackelige Stühle
und eine Truhe aus gerissenem Holz. Nichts außer einem
Kreuz hing an den weiß gekalkten Wänden, und der Boden
war nicht sauber ausgefegt.
    Anne Palmer bot Elisabeth einen der Stühle an und sagte:
»Ich hole Euch einen guten Rheinwein. Wartet einen
Augenblick.« Schon war sie aus dem Zimmer geeilt.
    Elisabeth versuchte sich zu beruhigen. Immerhin hatte sie
Palmer gefunden. Vielleicht konnte er ihr bei der Suche nach
Ludwigs Mördern weiterhelfen und sich heimlich im Stalhof
umhören. Elisabeths Gedanken kreisten unablässig um
ihren toten Bruder; es war eine gute Ablenkung.
    Anne Palmer kam zurück und trug auf einem Tablett einen
Krug und zwei irdene Becher. Einen davon drückte sie
Elisabeth in die Hand und füllte ihn mit trübem Wein.
Vorsichtig nippte Elisabeth daran. Der Wein war nur mit Honig
vermischt, doch er wirkte belebend.
    »Darf ich Euch fragen, was Ihr von meinem Mann
wünscht?«, wollte Anne Palmer wissen und blickte
Elisabeth neugierig, aber offenherzig an.
    »Es geht um meinen Bruder«, begann Elisabeth,
nachdem sie noch einen Schluck von dem gesüßten Wein
genommen hatte, der ihr sehr gut tat. »Er hat
Geschäfte mit Eurem Gemahl getätigt und war noch vor
einigen Monaten hier. Er ist kürzlich verstorben. Verzeiht,
wenn ich offen zu Euch bin, aber das würde ich lieber mit
Eurem Gatten besprechen.«
    Anne Palmer sah ihren Gast zweifelnd an. »Es tut mir
Leid, aber Edwyn ist vor ein paar Wochen zu einer Reise
aufgebrochen. Er wollte in Antwerpen Tuche

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