Tod im Weinkontor
meinte schließlich: »Eine unglaubliche Geschichte.
Bestimmt habt Ihr Recht. Das klingt nicht nach Selbstmord. Ihr
tut gut daran, den Mörder zu jagen. Der Hund soll in der
Hölle schmoren.«
»Jawohl«, bekräftigte Elisabeth. »Und
jeder Makel soll von dem Namen Leyendecker abgewaschen
werden.«
Anne Palmer riss die Augen auf. »Leyendecker!«,
rief sie. »Wie heißt Euer Bruder?«
»Ludwig Leyendecker.« Elisabeth sah die blonde
Frau verwundert an.
Anne Palmer schnappte nach Luft. Dann brach sie wieder in
Tränen aus; Schluchzer schüttelten ihren zarten
Körper.
»Ihr kanntet meinen Bruder?«, fragte Elisabeth
ungläubig.
Anne Palmer nickte. »Ludwig war mein Liebster«,
weinte sie.
VIERZEHN
Das Buch schien in seiner Hand zu brennen. Andreas Bergheim
war soeben bei Barbara Leyendecker gewesen und hatte sie
überredet, ihm das Zauberbuch auszuhändigen, mit dessen
Hilfe Ludwig angeblich den Teufel beschworen hatte. Er wollte
sich den schrecklichen Band noch einmal genau ansehen und vor
allem herauszufinden versuchen, ob etwas in dem Grimoire wirklich
auf die Eigentümerschaft Ludwigs schließen ließ.
Etwas anderes blieb ihm während Elisabeths Abwesenheit nicht
zu tun. Nun war sie schon acht Tage fort, und Andreas stellte
fest, dass er sie vermisste. Er dachte oft an sie und hoffte,
dass ihre Reise ohne Zwischenfall blieb.
Vor sich sah er den Turm von Sankt Kolumba, dahinter, auf dem
Dach, den Kran, wie ein Buckel. Ein Krämer ging mit seinem
Bauchladen an dem jungen Priester vorbei und nuschelte
unverständliche Worte. Bei seinem Anblick musste Andreas an
den Weinwürzhändler Dulcken denken, den er auf dem
Neumarkt getroffen hatte. War Ludwig tatsächlich ein so
kalter Geschäftsmann gewesen? Hatte er tatsächlich mit
dem Teufel im Bund gestanden? Andreas hielt das kleine, in
knitteriges Leder gebundene Buch hoch. Es war ihm unheimlich.
Sollte er tatsächlich darin lesen? Bestand dann nicht die
Gefahr, dass er unbeabsichtigt mit der Dämonenwelt in
Kontakt trat? Aber gab es diese Welt überhaupt? Pfarrer
Hülshout war von ihrer Existenz überzeugt, und das
»Fortalitium Fidei« bekräftigte diese Meinung.
Aber…
Andreas hatte den Angreifer nicht kommen sehen; dieser hatte
sich von hinten angeschlichen. Plötzlich schlang sich ein
Arm um ihn, ihm wurde das Buch aus der Hand gerissen, und schon
war der Dieb auf der Flucht.
Andreas war so überrascht, dass er zunächst reglos
auf der Straße stehen blieb. Der Dieb warf seinen
Bauchladen fort und hastete die Glockengasse in nördlicher
Richtung hinunter. Andreas war so benommen, dass er eine Weile
brauchte, um ihm nachzusetzen. Mit wehendem Priesterrock rannte
er hinter dem Verbrecher her. Die spitzen Giebel der stattlichen
Häuser schienen sich zu ihm hinunterzubeugen und ihn still
zu beobachten. »Halt!«, rief er. Doch der Dieb
scherte sich natürlich nicht um den Befehl. Er rannte bis
zum Ende der Glockengasse, bog rechts in die enge Hämergasse
ein und war aus Andreas’ Blickfeld verschwunden.
Der junge Geistliche hastete an einem klappernden Fuhrwerk
vorbei, das plötzlich aus einer Toreinfahrt herausgerumpelt
kam. Der Kutscher schrie ihn an und fluchte, die Pferde scheuten
wiehernd, das Stampfen ihrer Hufe hallte von den
Häuserwänden wider. Eine Kiste rutschte von der
Ladefläche und polterte auf die Straße. Andreas nahm
all seine Kraft zusammen und lief noch schneller, um dem Zorn des
Kutschers zu entkommen.
Schmerzpfeile durchbohrten seine Seite. Er war solche
Anstrengungen nicht gewöhnt. Als er die Hämergasse
endlich erreicht hatte, musste er kurz stehen bleiben. Die
kleinen Fachwerkhäuser mit den lederbespannten Fenstern und
den tiefen Handwerkerbuden der Sattler im Erdgeschoss wirkten wie
aufgerissene Münder, die sich vor Lachen verkrampft hatten.
Andreas atmete schnell. Der Dieb würde nun schon über
alle Berge sein. Dennoch lief er die Hämergasse in
östlicher Richtung entlang, bis er auf die Breite
Straße stieß. Zwischen den hohen Steinhäusern
der reicheren Bürger, die sich mit kleineren
Fachwerkhäuschen abwechselten, tummelten sich Händler,
Schweine, Gänse, Pferdefuhrwerke, herrschaftliche Wagen und
Handwerker, die vor ihren offenen Läden arbeiteten. In
diesem Gewimmel war der Dieb nirgendwo mehr zu sehen.
Erschöpft blieb Andreas stehen. Die Sonne spiegelte sich in
den Fensterscheiben der wohlhabenderen Anwesen, in den
Gerätschaften
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