Tod im Weinkontor
schluchzte Anne Palmer.
»Es kann nur er gewesen sein.«
Elisabeth sah die junge blonde Frau erstaunt an. »Wollt
Ihr damit sagen, dass Euer Mann meinen Bruder umgebracht hat?
Wusste er denn von Eurem Verhältnis?«
Anne nickte. »Ich glaube, er hat es von jemandem
erfahren, der uns beide zusammen in der Herberge gesehen hat, in
der wir uns immer getroffen haben. Als er nach Köln
abgereist ist, war er entsetzlich wütend.«
Elisabeth rieb sich das Kinn. Ludwig hatte ein Verhältnis
gehabt und war seiner Frau untreu gewesen. Das hätte sie nie
von ihm vermutet. Ihr Bild von ihm geriet immer stärker ins
Wanken. Sie räusperte sich und fragte Anne, wie es zu dieser
Liebschaft gekommen war.
Anne erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Dann lief sie
hinaus, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Elisabeth blieb verdutzt
auf ihrem Stuhl sitzen und wusste nicht, wie sie sich verhalten
sollte. Noch bevor sie zu einem Ergebnis gekommen war, betrat
Anne wieder das Zimmer. Sie hielt erneut ein Tablett mit einem
Krug und zwei Bechern in den Händen. »Ich glaube, den
brauchen wir jetzt«, erklärte sie, stellte den Krug
auf der kleinen Truhe ab, die an der weiß gekalkten Wand
stand, und goss goldenen Wein in die Becher. Den einen reichte
sie Elisabeth. »Der Beste, aus Bacharach, eine milde,
späte Lese, nachdem der Frost schon in die Beeren gefahren
war. Er stammt von Eurem Bruder – das beste Fass, das wir
noch im Keller haben.« Sie prostete Elisabeth mit einem
traurigen Blick zu.
Elisabeth nahm einen Schluck. Die schwere, reiche
Flüssigkeit rann ihr wohltuend die Kehle hinunter und
schenkte ihr ein warmes Gefühl im Magen. Der samtene,
süße Wein, der nicht einmal mit Honig vermischt werden
musste, machte sie wohlig benommen; er war so viel besser als die
sauren Tropfen, die Heinrich zu Hause auftischen ließ und
die regelmäßig mit Honig, Wacholder und anderen
Zutaten versehen wurden. Das starke Getränk löste ihr
die Zunge. »Anne Palmer, wir sind Schwestern im Leide. So
sollten wir uns auch wie Schwestern verhalten.«
Anne setzte ihren Becher ab, kam zu Elisabeth herüber und
umarmte sie. Tränen tropften ihr auf den Hals. »Ich
habe nie eine Schwester gehabt«, schluchzte Anne,
»und die richtige Liebe habe ich erst durch Ludwig kennen
gelernt.« Sie trat einen Schritt von Elisabeth zurück,
die ihren Weinbecher vorsichtig am ausgestreckten Arm von sich
fern hielt, und sagte mit tränenerstickter Stimme: »Er
war ein so wunderbarer, sanfter Mann.«
Elisabeth nickte. Nun überwältigte auch sie wieder
die Trauer. Ja, Ludwig war ein ganz besonderer Mensch gewesen.
Ihr Blick wurde feucht.
»Das war er«, sagte sie mit schwerer Stimme.
»Das war er. Und wir werden seinen Mörder zur Strecke
bringen.«
Anne fiel ihr erneut um den Hals. »Schwester, wie ich
mich darauf freue«, gluckste sie. »Edwyn wird seine
gerechte Strafe bekommen. Er wird der Geschäfte wegen noch
lange in Köln bleiben, bevor er sich auf die Rückreise
macht. Wir werden ihn dort aufspüren.«
Die beiden Frauen genehmigten sich eine weitere Kanne besten
Bacharachers.
Der Weg zurück zum Stalhof war nicht ganz leicht. Die
ganze Welt schien zu schwingen. Plötzlich waren die Blicke
der Passanten nicht mehr feindlich, sondern belustigt. Elisabeth
fühlte sich so wohl. Nun wusste sie, wer ihren Bruder
getötet hatte. Alle anderen Hypothesen hatten sich als
unrichtig erwiesen. Nur kurz erinnerte sie sich daran, dass
Ulrich Heynrici gesagt hatte, Ludwig sei in London einer
schlimmen Sache auf die Spur gekommen. Bestimmt stand das auch in
Zusammenhang mit Edwyn Palmer. Nun musste sie nur noch nach
Köln zurückkehren und hoffen, dass Palmer sich noch
dort aufhielt.
Die Häuser aus Stein, die die Thames Street flankierten,
schienen zu tanzen. Alles Dunkle, Unerklärliche war weit
fort. Sie freute sich darauf, es ihrem Mann zu sagen.
Ihrem Mann…
Sie dachte an die vergangene Nacht zurück, und ihre
weingeschwängerte Hochstimmung schwand. Doch der schwere
Rheinwein sorgte immer noch dafür, dass ihre Ängste
nicht zu stark wurden. Sollte er ihr doch drohen. Dann würde
sie es ihm heimzahlen. Er hatte sie entjungfert und damit den
Ehekontrakt gebrochen. Sie hatte ihn in der Hand, denn die
Tatsache ihrer Entehrung war ohne weiteres nachweisbar. Jede
Hebamme konnte das.
Sie klopfte an das Portal des Stalhofes und wurde sofort
eingelassen. Der junge, linkische Mann mit dem zu
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