Tod im Weinkontor
grinsten, sie erkannten den Text.
»Und du wolltest uns weismachen, dass das ein Teufelsbuch
sei«, schnauzte der mit der Hellebarde den Dieb an.
»Jetzt komm mit. Du hast ein neues Zuhause. Es wird dir im
Turm prächtig gefallen, denn da hast du viele
Freunde.« Die Menge zerstreute sich, und der Dieb wurde
abgeführt. Er rief hinter Andreas her: »Jetzt bist du
verdammt, Pfaffe! Denk an meine Worte!«
Andreas hatte das Buch in seinem Bett verborgen und war dann
zur Messe geeilt. Er kam nur wenige Minuten zu spät, zog
aber die strengen und missbilligenden Blicke Pfarrer
Hülshouts auf sich. Nach der Messe musste er sich eine
Standpauke anhören und versicherte Hülshout, er werde
nie wieder zu spät kommen. Der alte Priester schien ihm
nicht recht glauben zu wollen, entließ ihn aber dann bis
zur Abendmesse. Sofort eilte Andreas aus der Sakristei durch das
eingerüstete Kirchenschiff, den Seiteneingang hinaus auf den
Kirchhof und zur Hintertür des Pastorates. Er warf einen
raschen Blick in die Richtung, in der Ludwig Leyendeckers Grab
lag, und verschwand dann im Haus.
Wie mochte es Elisabeth auf ihrer Reise ergehen? Der Gedanke
an sie gab Andreas neuen Mut. Er eilte an der Küche vorbei,
aus der soeben Grete trat und ihn freundlich grüßte,
lief die knarrende Holztreppe hoch und verbarg sich in seiner
Kammer. Er holte das Buch unter der Daunendecke hervor und begann
zu lesen.
Es war schrecklich. In langen lateinischen Gebeten wurde hier
der Teufel angerufen und eine genaue Anweisung zum Herstellen des
magischen Kreises sowie des Zauberstabes gegeben. Andreas hatte
von solchen Büchern während seiner Studien in Bologna
gehört, aber ihm war noch nie eines zu Gesicht gekommen. Mit
zitternden Fingern blätterte er das kleine, blasphemische
Buch durch. Sollte Ludwig es tatsächlich benutzt haben? Das
konnte er sich einfach nicht vorstellen. Sein Freund hatte nie
etwas mit der Welt des Erzfeindes zu schaffen gehabt.
Was für schreckliche Worte: … Iam tibi impero et
praecipio, maligne spiritus, ut confestim hinc a me et summa illa
pecuniarum allata et circulo discedas, absque omni strepitu,
terrore, clamore et foetore, atque sine omni damno mei tarn
animae quam corporis… Andreas konnte nicht begreifen, dass
es Menschen gab, die sich mit solch abscheulichen Dingen
beschäftigten. Er schlug das Buch zu und schaute aus dem
Fenster. Sankt Kolumba hockte im Vorabendlicht, verunstaltet
durch den Kran und die Gerüste – wie ein Hohn auf ein
ehrwürdiges Gotteshaus. Die Sonne hatte sich am Turm
aufgespießt; es wirkte, als blute sie. Blutrot – wie
der Wein bei der Wandlung vorhin. Wein… Andreas
schüttelte den Kopf. Wie hing das alles zusammen – der
Wein, Ludwigs Tod, seine Witwe, die kaum trauerte, seine
Konkurrenten, dieses grässliche Buch, die angeblichen
Untaten seines engsten Freundes, mögliche Intrigen in der
Kaufmannschaft oder auch im Rat der Stadt… Alles war so
verwirrend. Andreas sah nur lose Enden. Nichts fügte sich
zusammen.
Er öffnete das Buch und betrachtete den vorderen
Innenspiegel, wo man üblicherweise die Besitzvermerke
eintrug. Natürlich stand Ludwigs Name nicht darin, wie er
schon beim ersten Durchblättern bemerkt hatte. Der
Innenspiegel war weiß und unscheinbar. Oder war da ein Name
getilgt worden? Andreas hielt das Buch dicht unter seine Nase. Da
waren Unebenheiten im Papier. Und noch ein kleiner Tintenfleck,
den er vorhin für Fliegendreck gehalten hatte. Doch der Name
war unmöglich zu entziffern.
Es konnte nicht Ludwigs Name gewesen sein, denn warum
hätte jemand sich die Mühe machen sollen, ihn zu
tilgen, vor allem, da seine Witwe doch von der
Teufelsbündnerschaft ihres Mannes überzeugt war? Ob
sich irgendwo in dem Buch ein Hinweis auf den früheren
Besitzer fand? Andreas blätterte den Band noch einmal
aufmerksam durch. Lange fand er nichts. Doch die letzten drei
Seiten schienen von anderer Hand geschrieben zu sein, was ihm
vorhin, bei oberflächlicherer Begutachtung, nicht
aufgefallen war. Diese Seiten enthielten Anmerkungen zu den
Teufelsbeschwörungen, und der letzte Satz lautete: Ut feci
in campo leprosorum vulgo Melaten.
Andreas murmelte erschüttert die Übersetzung:
»Wie ich es im Leprosenhof getan habe, der im Volksmund
Melaten genannt wird.«
Er würde dem heiligmäßigen Ulrich Heynrici
noch einmal einen Besuch abstatten müssen.
FÜNFZEHN
»Er hat es getan«,
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