Tod in Bordeaux
vorher würde ich gern mehr über den Toten wissen.»
«Nur so viel: Wenn jemand stirbt, der für den Tod eines anderen verantwortlich sein könnte, liegt die Vermutung nahe, so sagt es zumindest das Lehrbuch, dass er zum Schweigen gebracht wurde, weil er zu viel wusste oder um die Kette der Mitwisser zu unterbrechen, die uns zum Auftraggeber führen könnte.»
«Wer ist das Ihrer Meinung nach?»
«Monsieur Bongeeers, bringen Sie mich nicht in Schwierigkeiten ...»
«Ach, und meine, die spielen keine Rolle?»
Grivot hob den Kopf und betrachtete das Pflaster auf Martins Kopf. «Sagen Sie nicht, Sie seien auf dem Bettvorleger ausgerutscht. Ich weiß, wie solche Verletzungen aussehen.»
Der spöttische Zug um Grivots Mund verstärkte sich wieder. Je länger Martin ihm gegenübersaß, desto stärker wurde sein Eindruck, dass der Kommissar ihm etwas verheimlichte. Martin hatte keinen blassen Schimmer, ob Grivot überhaupt ermittelte. Als er sich mit ihm verabredet hatte, bestand der Kommissar darauf, sich nicht im Präsidium zu treffen.
«Den Bettvorleger hat mir auch unsere Polizei nicht abgenommen», sagte Martin unwillig und fragte sich, ob Grivot das nicht längst wusste. «Aber die Wahrheit wollte sie auch nicht glauben, sie haben sich eine zurechtgebastelt.»
«Und wie ist Ihre?»
Martin schilderte den Überfall, ereiferte sich über die Brutalität der Schläger und erwähnte die Warnung, sich von Bordeaux fern zu halten. Grivot blieb dabei ungerührt, was Martin erboste.
«Monsieur Bongeeers, das passiert zigfach, hundertfach, jeden Tag. Ich bin bei der Polizei. Da muss man mit seinen Gefühlen vorsichtig sein. Aber kehren wir noch einmal zurück zu den beiden Firmen in London und Singapur. Was wissen Sie darüber?»
«Die in London scheint eine Briefkastenfirma zu sein, Teil einer Holding, ein Geschäftsfreund sucht nach den Verbindungen. In Singapur ist es eine Im- und Exportfirma. Wem sie gehört? Keine Ahnung. Die Fälscher haben sich wahrscheinlich Asien ausgesucht, weil es dort nicht auffällt, wenn von einem alten Jahrgang zehn Jahre später eine große Menge in Umlauf kommt. Was verstehen Japaner oder neureiche Chinesen von einem erstklassigen Bordeaux? Die Unterschiede sind nicht extrem, und um die Fälschung zu entdecken, müsste man das Original kennen. In Europa ist das was anderes. Es gibt viele Spezialisten und Kenner, hier ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Flaschen vom richtigen 1989er mit dem gefälschten zusammenkommen oder dass sich jemand an den Geschmack erinnert. Darum ist der Wein hier vom Markt verschwunden.»
«Und Sie sind der Einzige, der das bemerkt hat?»
Martin zuckte mit den Achseln. Grivot lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Weshalb kaufen Leute so teure Weine? 50 Euro sind eine Menge Geld für eine Flasche.»
«Manche Leute trinken mal eben zum Essen einen Grand Cru für drei- bis vierhundert Euro, das interessiert die gar nicht. Wein, Monsieur, das ist viel mehr als ein Getränk. Sie kaufen nicht nur die Flüssigkeit. Sie kaufen ein Symbol, ein Erkennungszeichen, modern gesagt einen Mythos, so wie ein Anzug von Armani ein Mythos sein kann, ein dicker Mercedes, eine Rolex ... Menschen kaufen, was ihnen fehlt: Status, Kennerschaft, Bildung oder Lebensart. Winzer und Kellereien werden gehandelt wie Stars und Rennställe, die großen Châteaus in Bordeaux, Marchese Antinori in Italien, Bruno Giacosa im Piemont. Man spricht vom spanischen Vega Sicilia - ich habe ihn probiert, recht gut, aber nicht berauschend und viel zu teuer. Wein, das ist ein Thema unter Eingeweihten, zum Bluffen oder Angeben. Über einen Gemüsebauern oder einen Bäcker - was wollen Sie da berichten? Über Winzer hingegen werden Bücher geschrieben.»
«Wie ich vermute, sprechen Sie nicht von dem Wein, der vor uns steht?» Grivot nahm lächelnd die mehr als halb volle Flasche in die Hand und betrachtete das bunte Etikett.
«Wieso - schmeckt er Ihnen nicht?»
«Monsieur Bongeeers, Sie denken schlecht von mir. Ich bin zwar nur Polizist, aber ich bin auch Franzose. Dieses Restaurant habe ich nur gewählt, weil es auf dem Weg zum Präsidium liegt. Ich habe den Hauswein bestellt. Ich verstehe nichts davon, ich weiß nur, was mir schmeckt.»
«Dann bitte ich um ...»
«Keine Entschuldigung, erzählen Sie einfach weiter. Jetzt vielleicht einen Kaffee, einen Cognac? Natürlich nur den guten!»
Grivot bestellte, und Martin nahm den Faden wieder auf. «Wein ist das einzige
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