Tod in Bordeaux
ihn eingehen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass es nutzlos war. Lustlos zwang er sich zu einer Antwort. «Wie alles andere. Man braucht das Original, benutzt technische Verfahren, um es möglichst gut zu kopieren, und erklärt, dass es das Original sei.»
«Aber hier handelt es sich nicht um Bilder, sondern um Wein. Ist das da auch möglich?»
«Sehen Sie, von einem Bild kann es nur ein Original geben, von einem Wein viele tausend Flaschen. Die einfachste Art ist es, ein anderes Etikett auf die Flasche zu kleben, viel komplizierter jedoch, einen Geschmack zu imitieren. Es gibt Institute, die entwickeln technische Verfahren, um Wein zu analysieren ... Dann wissen sie auch, wie man es anstellen muss ...»
«... um ihn zu fälschen», beendete Kommissar Grivot den Satz. «Liege ich richtig?»
«Genau. Auf Château Grandville saß beim Dinner der stellvertretende Direktor des INRA mit am Tisch, des Institut National de la Recherche Agronomique. Garenne brüstete sich damit, ein Mäzen des Instituts zu sein. Das heißt, er kann ihre Forschungsergebnisse ausnutzen. Wenn man die Verfahren kennt, ist es leicht, einen Wein zu fälschen», führte Martin weiter aus. «In der Lebensmittelchemie werden Aromastoffe verwendet, beim Wein arbeitet man mit Enzymen und Hefen, mit Zucker, Most und Temperaturen. Es gibt Apparate, mit denen man die Oxidation fördert. Säckeweise werden Eichenspäne in den Wein gekippt, Eichenfässer unterschiedlicher Porenstärke verwendet, innen stärker oder geringer geflämmt. Damit erzeugt man den Geschmack von Vanille, Zimt und Karamell. Man entzieht Wasser, filtriert oder nicht, schönt mit Eiweiß oder Bitumen, früher mal mit Rinderblut - das war vor BSE und ein ziemlicher Skandal. Das alles wirkt sich auf den Geschmack aus. Um einen bestimmten Geschmack nachzuahmen, müssen Sie wissen, wie diese Komponenten wirken, jede für sich und alle zusammen.»
«Machen Sie das auch mit dem Wein ihres toten Freundes?»
Martin schnaubte verächtlich. «Wer das macht, betrachtet den Wein lediglich als Objekt. Für mich ist er lebendig, meine Arbeit ist eine ganz andere. Mir kommt es darauf an, den Geschmack des Weins herauszuarbeiten, sein Potenzial, ihn zu führen, aber nicht, ihn zu verfälschen oder in eine andere Richtung zu bringen als die, die Gaston vorgeschwebt hat. Ich halte nichts von technischen Kinkerlitzchen. Die Komponenten wie Süße und Säure, Textur, Extrakt, Farbe müssen zusammenpassen. Das nennen wir dann Harmonie ...»
Weshalb erzähle ich diesem Grivot das eigentlich, fragte Martin sich plötzlich und schwieg. Es interessierte ihn doch gar nicht. Mit Hilfe konnte er nicht rechnen. Irgendwie hatte er es auf einmal satt, sich anzubiedern.
«Ich habe die Nase voll, Monsieur Grivot! Sie halten mich zum Narren. Mag sein, dass Sie anderswo damit Erfolg haben. Sie benutzen die Menschen und machen sich im Stillen über sie lustig. Das gefällt mir nicht. Seit unserem Treffen bei LaCroix tun Sie, als würden Sie gar nicht ermitteln. Dabei tun Sie es seit Gastons Tod, Sie haben sofort danach begonnen. Sie hatten von Anfang an den Verdacht, dass er ermordet worden ist, weshalb hätten Sie es sonst tun sollen. Sie waren das, der an jenem Abend im Haus war, als ich angerufen habe.»
Grivot setzte seine Brille auf, und seine Augen verschwanden wieder hinter den Gläsern. «Erwarten Sie eine Antwort?»
«Die brauche ich nicht», sagte Martin, «Ihre Reaktion reicht mir.»
«Sie haben keinen Grund, mir etwas vorzuwerfen, Monsieur. Jeder in Bordeaux kennt jeden, und ich kenne keinen. Ich bin erst seit kurzem hier, Sie hingegen schon länger. Überall liegen Tretminen. Mir fehlt das richtige Räumgerät, wenn Sie Metaphern schätzen. Das nur zu meiner Situation. Mit welcher Begründung soll ich die fünf oder sechs Châteaus von Monsieur Garenne durchsuchen lassen? Bitte! Mit welcher? Sie haben keine? Also wird mir kein Richter einen Durchsuchungsbefehl ausstellen. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Wichtiges entdecken sollten, und wir sehen es uns gemeinsam an. Unternehmen Sie nichts, ich hoffe, Sie verstehen mich. Schließlich sind Sie Ausländer.»
«Und wer zahlt nun die Rechnung, Sie oder ich?», fragte Martin wütend.
Was für ein chaotisches Gespräch, dachte Martin, als er durch das abendliche Saint-Émilion fuhr. Er hatte weder Erkenntnisse gewonnen noch Grivot klarmachen können, dass er ernstlich bedroht wurde und Schutz brauchte. Besonders interessiert hatte Grivot nur der
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