Tod in Bordeaux
Getränk, dessen Anblick man genießt - außer vielleicht Champagner -, seine Farbe, die vielen unterschiedlichen Rottöne, an denen man auch das Alter erkennen kann, dann die Bewegung des Weins, die Lichtreflexe und die Schlieren vom Glyzerin, wenn sie an den Wänden des Glases herunterlaufen. Für all das bezahlt man. Wein ist ein Sinnbild für Landschaften, wenn Sie La Rioja kennen, schmecken Sie es im Wein. Er ist eine Erinnerung, dass man mal dort war und schöne Tage verlebt hat. Ein richtiger, ein wirklich guter Terroirwein ist einer, der so duftet wie das Land, auf dem er gewachsen ist.»
«Sie sind ein Philosoph, Monsieur Bongers.»
Martin lachte. Zum ersten Mal hatte Grivot seinen Namen nicht in die Länge gezogen. Anscheinend hatte das Gesagte ihm gefallen. «Das hat nichts mit Philosophie zu tun, das ist Erfahrung, aber wie Sie eben sagten ... jeder macht sich seine Wahrheit. Diese Châteaus werden gelobt, in den Himmel gehoben, die Gewächse prämiert, es wird inszeniert und geschummelt, jeder verfolgt eine Absicht, und das verleidet den Spaß.»
Martin machte eine Pause. Erst als Grivot ihn aufmunternd ansah, fuhr er fort:
«Weingüter werden gehandelt wie Wertpapiere, das begann im 17. Jahrhundert, allein die Geschichte von Château Lafite ist ein Beispiel dafür. Es gab Verkäufe, Schwindel, Enthauptungen durch die Guillotine, Strohmänner, alles, was Sie sich denken können - auch Hochzeiten, um Güter miteinander zu verbinden, nicht anders als bei den Fürstentümern im Mittelalter. Und bei Erbstreitigkeiten geht alles kaputt oder bankrott.»
Grivot setzte eine gequälte Mine auf. «Diese Weinwelt wird so verklärt, als existiere sie unabhängig von der übrigen Gesellschaft. BORDEAUX, wie das klingt, großartig, aber sicher ist es wie überall nur ein weiterer Spiegel unseres Lebens.»
«Ich halte es zum großen Teil für Showbusiness. Doch zurück zu diesem Algerier. Wissen Sie, wer ihn ermordet haben könnte?»
«Sie sind hartnäckig, Monsieur Bongeeers, ich darf Ihnen leider nicht mehr sagen, schwebende Ermittlungen ...»
«Von mir erwarten Sie Kooperation, und Sie halten sich raus. Sind das die Regeln?»
«Ja.»
«Das akzeptiere ich nicht.»
«Ihr Problem.»
«Nein, Ihr’s. Der Staat lässt Mörder frei rumlaufen? Kann ich mir kaum vorstellen, außer er schickt sie selbst. Aber hier geht es nicht um Politik. Mobilisieren Sie meinetwegen die Steuerfahndung, die springt sofort an. Wenn die Geld riechen, dann stehen sie sogar nachts dafür auf.»
«Eine gute Idee, wir kommen bei Gelegenheit darauf zurück.»
Martin lief gegen eine Mauer. Aus Grivot bekam er nichts mehr heraus. Diesen interessierte etwas anderes. «Was halten Sie von Drapeau, von dem Korsen, wie Sie ihn nennen? Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen?»
«Es war nur so ein Gefühl. Ich sah ihn aus dem Wagen steigen und dachte, der kommt von der Insel.»
«Haben Sie dafür irgendwelche Anhaltspunkte?»
«Wie Sie bereits ganz richtig bemerkten, ist bei mir alles nicht sonderlich konkret. Ich bin viel in Frankreich herumgekommen, auch auf Korsika. Ich habe darüber bislang nicht nachgedacht, irgendwie ist er wie die Leute dort. Das mag am Gang liegen, an der Körperhaltung, den Gesten, was weiß ich. Er spricht kaum, überlässt es anderen, aber wenn er was sagt, ist es absolut akzentfrei.»
«Glauben Sie, dass er was von Wein versteht?»
Martin wunderte sich, mit welchem Interesse Grivot auf einmal bei der Sache war und ihm geradezu an den Lippen hing. Dabei war die Rolle Drapeaus ziemlich klar: «Wenn Garenne der König ist, dann ist der Korse sein erster Minister. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?»
«Durchaus», antwortete Grivot vieldeutig. «Und er hat Ihnen am Telefon gedroht? Womit?»
«Mich endgültig fertig zu machen», antwortete Martin, «aber ich bezweifle, dass er selbst aktiv wird. Für die Dreckarbeit hat er die Lederjacke und diesen stinkenden Schläger. Der Kopf, das ist Garenne, Sie werden es erleben. Und Sie halten ihn nicht für verdächtig?» Martin wollte das Gespräch unbedingt wieder in die richtige Richtung bringen, der Korse war in diesem Spiel doch nur der Läufer, der König hingegen war Garenne.
Grivot wich wieder aus. «Wie fälscht man eigentlich einen Wein? Sie machen doch gerade einen, oder?»
Resignierend winkte Martin dem Ober und bestellte noch einen Kaffee und einen Cognac. Er brauchte Grivot, der Kommissar war womöglich seine Lebensversicherung. Also musste er auf
Weitere Kostenlose Bücher