Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
hysterisch. Das
    Klopfen an der Tür geriet zu einem Hämmern.
    Mock stand auf und holte aus. Seine Hand landete klat-
    schend auf dem Gesicht des schreienden Assistenten. Stil-
    le. Das Klopfen hatte aufgehört, nebenan raschelten nur
    leise die Kleidungsstücke, die eines der Mädchen wohl
    vom Boden zusammenklaubte. Anwaldt war erstarrt, und
    Mock hatte plötzlich seinen Gedanken wiedergefunden.
    Er hörte noch seine Worte: »Du wirst jetzt gut auf dich
    aufpassen, und auch solange wir diesen Erkin nicht ge-
    schnappt haben, wird dir nichts geschehen. Und sobald
    wir ihn schnappen, wird sowieso nichts aus seiner Missi-
    on … wird sowieso nichts aus seiner Mission …«
    Er stand nahe bei Anwaldt und blickte ihm scharf in
    die Augen. »Hör zu, mein Sohn, Doktor Hartner meint,
    dass die Rache nur unter genau denselben Umständen
    vollzogen werden darf, wie sie bei dem ursprünglichen
    Verbrechen geherrscht haben. Und jetzt stell dir vor: Die
    Yeziden haben jahrhundertelang darauf gewartet, dass in
    der Familie von der Malten ein Sohn und eine Tochter
    geboren werden … Doch einmal hat es bereits ein solches
    Geschwisterpaar gegeben: Olivier von der Maltens Vater
    Ruppert und dessen Schwester. Warum haben die Yezi-
    den die beiden damals nicht umgebracht? Sie zuerst ge-
    321
    schändet und ihnen Skorpione in die Eingeweide gesetzt?
    Hartner hat zwar den Verdacht geäußert, dass es in der
    Abgeschiedenheit eines Klosters unmöglich gewesen wä-
    re, den Racheakt auszuführen.« Mock schloss die Augen,
    ihm graute vor sich selbst. »Aber das glaube ich nicht.
    Weißt du, warum? Weil ihr Vater bereits nicht mehr am
    Leben war. Die Zwillinge wurden erst nach dem Tod ih-
    res Vaters geboren, da er in der Schlacht von Solferino
    gefallen war. Das weiß ich genau. Denn Olivier von der
    Malten, mein geschätzter Studienkollege, hat mir alles
    über seinen heldenhaften Großvater erzählt. Also waren
    die Umstände nicht die gleichen … Wenn nun auch Oli-
    vier von der Malten plötzlich sterben würde, dann …«
    Anwaldt war zum Tisch getreten, hatte die Flasche er-
    griffen und sie angesetzt. Mock sah zu, wie ihm der Wein
    über das Kinn floss und sein Hemd verfärbte. Anwaldt
    trank die Flasche leer, vergrub sein Gesicht in den Hän-
    den und presste hervor: »Also gut. Ich werde es tun. Ich
    werde den Baron umbringen.«
    Mock fühlte ein Würgen in der Kehle. Der Abscheu
    vor sich selbst schien ihm die Luft zu nehmen.
    »Das kannst du nicht tun. Er ist doch dein Vater.«
    Anwaldts Augen blitzten zwischen seinen Fingern her-
    vor.
    »Nein. Mein Vater, das sind Sie.«

    322
    Breslau, Donnerstag, 19. Juli.
    Vier Uhr morgens

    Der schwarze Adler hielt vor dem Palais der Familie von
    der Malten. Ein Mann stieg aus, näherte sich schwankend
    dem Tor, und die nächtliche Stille wurde durch ein
    schrilles Läuten zerrissen. Der Adler fuhr mit quiet-
    schenden Reiten an, während der Mann am Steuer einen
    Blick in den Rückspiegel warf und sich für einen Moment
    in den Anblick, der sich ihm bot, vertiefte.
    »Du bist ein Dreckskerl«, sagte er zu dem müden Ge-
    sicht, das ihm entgegenblickte. »Du hast diesen jungen
    Menschen in ein Verbrechen getrieben. Du hast ihn zu
    deinem Instrument gemacht. Ein Instrument, mit dem
    du dich des letzten Zeugen deiner freimaurerischen Ver-
    gangenheit entledigen möchtest.«

    Olivier von der Malten stand auf der Schwelle zu seiner
    weiträumigen Empfangshalle. Es sah aus, als hätte er sich
    noch gar nicht zur Ruhe begeben. Er wickelte sich fester
    in seinen bordeauxroten Hausmantel und blickte streng
    auf Anwaldt, der auf wackligen Beinen vor ihm stand.
    »Junger Mann, was glauben Sie eigentlich? Dass dies
    hier eine Ausnüchterungszelle oder ein Nachtasyl für Al-
    koholiker ist?«
    Anwaldt lächelte, und um sein Lallen ein wenig zu
    verbergen, dämpfte er die Stimme:
    »Ich habe wichtige Informationen für den Herrn Ba-
    ron …«
    323
    Der Gastgeber trat zurück in die Halle und bedeutete
    Anwaldt, er möge eintreten. Den verschlafenen Diener
    schickte er fort. An allen Wänden der geräumigen, holz-
    getäfelten Eingangshalle hingen Porträts der von der
    Maltens. Und was Anwaldt in den Gesichtern erkennen
    konnte, waren nicht so sehr Strenge und Ernst, sondern
    eher Hochmut und Durchtriebenheit. Vergeblich sah er
    sich nach einer Sitzgelegenheit um. Der Baron tat, als hät-te er es nicht bemerkt.
    »Was möchten Sie mir Neues zu der Sache erzählen?
    Ich habe heute mit Mock zu

Weitere Kostenlose Bücher