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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Mittag gegessen, und so
    denke ich doch, dass ich auf dem Laufenden bin. Oder ist
    heute Abend noch etwas vorgefallen?«
    Anwaldt hatte sich eine Zigarette angesteckt. Da er
    nirgends einen Aschenbecher entdeckte, schnippte er die
    Asche auf das polierte Parkett.
    »Also hat Mock dem Herrn Baron sicher auch von der
    Rache der Yeziden erzählt. Hat er auch erwähnt, dass die-
    ser Racheakt bis jetzt nur zur Hälfte ausgeführt worden
    ist?«
    »Ja. Er hat Hartner zitiert. Das Ganze sei gescheitert,
    auf Grund der irrigen Wahnvorstellung eines alten Pro-
    pheten. Junger Mann, kommen Sie um vier Uhr nachts in
    völlig betrunkenem Zustand zu mir, um mich über mein
    Gespräch mit Mock auszufragen?«
    Anwaldt musterte den Baron aufmerksam und ent-
    deckte einige Mängel an dessen Garderobe: einen abge-
    rissenen Hemdknopf, die Bänder seiner Wäsche, die aus
    dem Hausmantel heraushingen. Albern prustete er los
    und verharrte eine ganze Weile in einer merkwürdig ge-
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    krümmten Haltung, während er sich vorstellte, wie dieser
    ältere Herr schwer atmend auf dem Klosett saß und dann
    von seinem sturzbetrunkenen Sohn in der geheiligten
    Ruhe seiner noblen Residenz gestört wurde. Das Lachen
    war noch nicht ganz von Anwaldts Lippen gewichen, als
    er voll Bitterkeit und Zorn hervorstieß:
    »Lieber Papa, wir wissen beide, dass die Offenbarung
    des Sehers überraschenderweise genau mit unseren Fami-
    lienbanden übereinstimmt. Natürlich nur mit den inoffi-
    ziellen. Letztendlich ist der Yeziden-Gott wohl doch un-
    geduldig geworden und hat auch die unehelichen Kinder
    anerkannt. Andererseits: Ist es wirklich so gewesen, dass
    in deinem Rittergeschlecht kein einziger Krieger Manns
    genug war, eine Bedienstete zu schwängern, und nicht ei-
    ner der zahlreichen Krautjunker je mit einer hübschen
    Bäuerin ins Heu gestiegen ist? Alle haben keusch den
    ehelichen Treueschwur eingehalten. Sogar mein lieber
    Papa. Denn schließlich hat er mich vor seiner Heirat ge-
    zeugt.«
    »An deiner Stelle würde ich nicht scherzen, Herbert.«
    Der Tonfall des Barons war unvermindert herablassend,
    doch sein Gesicht schien plötzlich zu verfallen. Von ei-
    nem Moment auf den anderen war aus dem stolzen Ari-
    stokraten ein erschrockener Greis geworden. Die zuvor
    sorgfältig frisierten Haare klebten ihm wirr an den Schlä-
    fen, seine Lippen waren eingefallen, da er offenbar sonst
    eine Zahnprothese trug.
    »Ich wünsche nicht, dass Sie mich duzen!« Anwaldt
    hatte aufgehört zu lachen. »Warum haben Sie mir das al-
    les nicht von Beginn an gesagt?«
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    Vater und Sohn standen sich gegenüber, während sich
    fast unmerklich einige zarte Strahlen der aufgehenden
    Sonne durch das Fenster in die Halle stahlen. Der Baron
    erinnerte sich: An die Juninächte im Jahre 1902. Wie er
    sich damals zu dem Dienstmädchen geschlichen hatte.
    An das schweißnasse Bettzeug, als er sie wieder verlassen
    hatte, und die disziplinären Maßnahmen, die Ruppert
    von der Malten seinem zwanzigjährigen Sohn eigenhän-
    dig angedeihen ließ. Und er erinnerte sich an die angster-
    füllten Blicke von Hanna Schlossarczyk, als sie die herr-
    schaftliche Residenz verlassen musste, wie sie buchstäb-
    lich den Fußtritten der anderen Bediensteten ausgesetzt
    war. Er brach die Stille und begann sachlich zu berichten.
    »Von diesem Fluch der Yeziden habe ich erst heute er-
    fahren. Und von unserer näheren Verwandtschaft hätte
    ich Sie in Kenntnis gesetzt, wenn Sie bei den Ermittlun-
    gen nicht weitergekommen wären. Das hätte Sie vielleicht
    motiviert.«
    »Nähere Verwandtschaft … (Hast du denn nicht ir-
    gendeinen Verwandten, hatte die Erzieherin gefragt, nicht einmal einen entfernten? Schade, dann hättest du wenigstens Weihnachten außerhalb des Waisenhauses verbrin-
    gen können.) Sogar jetzt haben Sie nicht aufgehört zu lü-
    gen! Sie wollen die Dinge nicht beim Namen nennen.
    Nicht genug damit, dass Sie mich in irgendein Heim ab-
    geschoben haben. Nicht genug damit, dass Sie sich Ihren
    Seelenfrieden mit dem Schulgeld für neun Jahre Gymna-
    sium erkauft haben. Wie viel haben Sie dem Kaufmann
    Anwald aus Poznań für seinen Namen gezahlt? Wie viel
    haben Sie meiner Mutter gezahlt, damit sie das alles ver-
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    gisst? Wie viel Geld braucht man, um ein Gedächtnis zu
    löschen? Doch das Gewissen hat sich offenbar schließlich
    doch noch zu Wort gemeldet. Lassen wir Anwaldt nach
    Breslau kommen. Wir können ihn hier ganz gut brau-
    chen. Zufällig ist er

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