Tod in Breslau
bereits die zwölfte Zigarette an diesem
Tag. Noch einmal las er den Obduktionsbefund und den
Bericht Koblischkes durch. Daraus ging jedoch nichts
anderes hervor, als was er mit eigenen Augen gesehen
hatte.
Plötzlich verfluchte er seine Zerstreutheit. Als er
nochmals den Bericht durchsah, den der alte Wachtmei-
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ster für ihn angefertigt hatte, fiel ihm ein Detail auf: Die Unterwäsche der Baronesse war vom Tatort verschwunden. Mock sprang auf und stürmte in das Zimmer seiner
Ermittler. Dort saß nur Smolorz.
»Kurt!«, schrie er. »Überprüfen Sie die Alibis aller be-
kannten Wäschefetischisten!«
Das Telefon klingelte, es war Piontek. »Guten Tag«,
trompetete es aus dem Hörer. »Ich möchte mich bei Ih-
nen revanchieren und Sie zum Mittagessen in die Fi-
scher-Bar einladen. Um zwei Uhr. Ich habe interessante
Neuigkeiten in der Sache Marietta von der Malten.«
»Geht in Ordnung.« Mock legte ohne weitere Höflich-
keitsfloskeln auf.
Breslau, 15. Mai 1933.
Zwei Uhr nachmittags
Wie immer zur Mittagszeit war es in der Fischer-Bar sehr
voll. Die Kundschaft bestand vorwiegend aus Polizisten
und uniformierten Nazis, die besonders gern das Lieb-
lingslokal ihres Idols Heines frequentierten. Piontek hatte es sich an einem Tisch im kleinen Saal bequem gemacht.
Die Sonnenstrahlen, die sich im Aquarium unter dem
Fenster brachen, tanzten als kleine Lichtreflexe auf sei-
nem kahlen Schädel. Zwischen Pionteks Wurstfingern
klemmte eine Zigarette. Er beobachtete die Miniaturaus-
gabe eines Tunfisches in dem Aquarium und gab merk-
würdige kleine Geräusche von sich. Dabei ahmte sein
Mund ein Fischmaul nach. Von Zeit zu Zeit klopfte er an
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die Scheibe des Aquariums – er schien sich glänzend zu
unterhalten.
Beim Anblick Mocks, der bereits eine Weile daneben
gestanden hatte, wurde er leicht verlegen, fand jedoch
schnell seine Beherrschung wieder, stand auf und be-
grüßte Mock überschwänglich. Der Rat legte weitaus we-
niger Wiedersehensfreude an den Tag. Piontek ließ eine
silberne Zigarettendose aufschnappen, und eine kleine
Spieluhr ertönte. Auf dem Deckel war eine Widmung
eingraviert: Unserem lieben Gemahl und Papi zum fünf-
zigsten Geburtstag von seiner Frau und seinen Töchtern.
Die Zigaretten in den himmelblauen Papierhülsen ver-
strömten einen aromatischen Duft. Ein älterer Kellner
nahm ihre Bestellung entgegen und entfernte sich lautlos.
»Ich will nicht verbergen, Herr Rat«, Piontek brach das
angespannte Schweigen, »dass wir von der Gestapo uns
glücklich schätzen würden, wenn wir einen Mitarbeiter
wie Sie hätten. Keiner weiß so viel über alle mehr oder
weniger wichtigen Persönlichkeiten in der Stadt wie Eber-
hard Mock. Man könnte wohl in keinem Geheimarchiv
so viele interessante Informationen finden wie in Ihrem
Kopf …«
»Ach, dass Sie mich nur nicht überschätzen, Herr
Hauptsturmführer!«, unterbrach ihn Mock. Der Kellner
stellte zwei Teller mit Aal in Dillsoße und gebratenen
Zwiebeln vor die beiden hin.
»Ich werde Ihnen nicht etwa vorschlagen, zur Gestapo
zu wechseln.« Piontek zeigte sich ungerührt angesichts
der Gleichgültigkeit Mocks. »Alles, was ich von Ihnen
weiß, lässt mich vermuten, dass Sie einen derartigen Vor-
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schlag sowieso nicht annehmen würden. (Ganz richtig,
aber von wem könnte dieser Dickwanst irgendetwas erfahren haben? Forstner, du Bastard, ich dreh dir die Gurgel um!) Aber andererseits sind Sie ja auch vernünftig. Ein besonnener Blick auf die Dinge wird Ihnen keinen Zweifel erlauben, dass die Zukunft mir und meinen Leuten
gehört!«
Mock aß mit riesigem Appetit. Er wickelte das letzte
Stück Fisch um die Gabel, tauchte es in die Soße und ver-
schlang es. Er setzte den Krug mit würzigem Schweidnit-
zer Bier einige Sekunden lang nicht ab. Dann wischte er
sich mit der Serviette über den Mund und betrachtete
den rötlichen kleinen Tunfisch hinter der Glaswand.
»Irre ich mich, oder wollten Sie mir etwas über den
Mord an Marietta von der Malten erzählen?«
Piontek verlor nie die Beherrschung. Er nahm aus sei-
ner Jacke eine kleine, flache Blechdose und schob sie
Mock hin, der plötzlich argwöhnisch wurde: Würde er,
wenn er eine Zigarre von Piontek annahm, damit etwa
sein Einverständnis zu dessen Vorschlag bekunden? Re-
flexartig zog er seinen bereits ausgestreckten Arm wieder
zurück. Pionteks Hand zitterte leicht.
»Na, nehmen Sie ruhig eine, Herr Rat, die sind
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