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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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bereits die zwölfte Zigarette an diesem
    Tag. Noch einmal las er den Obduktionsbefund und den
    Bericht Koblischkes durch. Daraus ging jedoch nichts
    anderes hervor, als was er mit eigenen Augen gesehen
    hatte.
    Plötzlich verfluchte er seine Zerstreutheit. Als er
    nochmals den Bericht durchsah, den der alte Wachtmei-
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    ster für ihn angefertigt hatte, fiel ihm ein Detail auf: Die Unterwäsche der Baronesse war vom Tatort verschwunden. Mock sprang auf und stürmte in das Zimmer seiner
    Ermittler. Dort saß nur Smolorz.
    »Kurt!«, schrie er. »Überprüfen Sie die Alibis aller be-
    kannten Wäschefetischisten!«
    Das Telefon klingelte, es war Piontek. »Guten Tag«,
    trompetete es aus dem Hörer. »Ich möchte mich bei Ih-
    nen revanchieren und Sie zum Mittagessen in die Fi-
    scher-Bar einladen. Um zwei Uhr. Ich habe interessante
    Neuigkeiten in der Sache Marietta von der Malten.«
    »Geht in Ordnung.« Mock legte ohne weitere Höflich-
    keitsfloskeln auf.

    Breslau, 15. Mai 1933.
    Zwei Uhr nachmittags

    Wie immer zur Mittagszeit war es in der Fischer-Bar sehr
    voll. Die Kundschaft bestand vorwiegend aus Polizisten
    und uniformierten Nazis, die besonders gern das Lieb-
    lingslokal ihres Idols Heines frequentierten. Piontek hatte es sich an einem Tisch im kleinen Saal bequem gemacht.
    Die Sonnenstrahlen, die sich im Aquarium unter dem
    Fenster brachen, tanzten als kleine Lichtreflexe auf sei-
    nem kahlen Schädel. Zwischen Pionteks Wurstfingern
    klemmte eine Zigarette. Er beobachtete die Miniaturaus-
    gabe eines Tunfisches in dem Aquarium und gab merk-
    würdige kleine Geräusche von sich. Dabei ahmte sein
    Mund ein Fischmaul nach. Von Zeit zu Zeit klopfte er an
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    die Scheibe des Aquariums – er schien sich glänzend zu
    unterhalten.
    Beim Anblick Mocks, der bereits eine Weile daneben
    gestanden hatte, wurde er leicht verlegen, fand jedoch
    schnell seine Beherrschung wieder, stand auf und be-
    grüßte Mock überschwänglich. Der Rat legte weitaus we-
    niger Wiedersehensfreude an den Tag. Piontek ließ eine
    silberne Zigarettendose aufschnappen, und eine kleine
    Spieluhr ertönte. Auf dem Deckel war eine Widmung
    eingraviert: Unserem lieben Gemahl und Papi zum fünf-
    zigsten Geburtstag von seiner Frau und seinen Töchtern.
    Die Zigaretten in den himmelblauen Papierhülsen ver-
    strömten einen aromatischen Duft. Ein älterer Kellner
    nahm ihre Bestellung entgegen und entfernte sich lautlos.
    »Ich will nicht verbergen, Herr Rat«, Piontek brach das
    angespannte Schweigen, »dass wir von der Gestapo uns
    glücklich schätzen würden, wenn wir einen Mitarbeiter
    wie Sie hätten. Keiner weiß so viel über alle mehr oder
    weniger wichtigen Persönlichkeiten in der Stadt wie Eber-
    hard Mock. Man könnte wohl in keinem Geheimarchiv
    so viele interessante Informationen finden wie in Ihrem
    Kopf …«
    »Ach, dass Sie mich nur nicht überschätzen, Herr
    Hauptsturmführer!«, unterbrach ihn Mock. Der Kellner
    stellte zwei Teller mit Aal in Dillsoße und gebratenen
    Zwiebeln vor die beiden hin.
    »Ich werde Ihnen nicht etwa vorschlagen, zur Gestapo
    zu wechseln.« Piontek zeigte sich ungerührt angesichts
    der Gleichgültigkeit Mocks. »Alles, was ich von Ihnen
    weiß, lässt mich vermuten, dass Sie einen derartigen Vor-
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    schlag sowieso nicht annehmen würden. (Ganz richtig,
    aber von wem könnte dieser Dickwanst irgendetwas erfahren haben? Forstner, du Bastard, ich dreh dir die Gurgel um!) Aber andererseits sind Sie ja auch vernünftig. Ein besonnener Blick auf die Dinge wird Ihnen keinen Zweifel erlauben, dass die Zukunft mir und meinen Leuten
    gehört!«
    Mock aß mit riesigem Appetit. Er wickelte das letzte
    Stück Fisch um die Gabel, tauchte es in die Soße und ver-
    schlang es. Er setzte den Krug mit würzigem Schweidnit-
    zer Bier einige Sekunden lang nicht ab. Dann wischte er
    sich mit der Serviette über den Mund und betrachtete
    den rötlichen kleinen Tunfisch hinter der Glaswand.
    »Irre ich mich, oder wollten Sie mir etwas über den
    Mord an Marietta von der Malten erzählen?«
    Piontek verlor nie die Beherrschung. Er nahm aus sei-
    ner Jacke eine kleine, flache Blechdose und schob sie
    Mock hin, der plötzlich argwöhnisch wurde: Würde er,
    wenn er eine Zigarre von Piontek annahm, damit etwa
    sein Einverständnis zu dessen Vorschlag bekunden? Re-
    flexartig zog er seinen bereits ausgestreckten Arm wieder
    zurück. Pionteks Hand zitterte leicht.
    »Na, nehmen Sie ruhig eine, Herr Rat, die sind

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