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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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…«
    »Und was haben Sie in der Nacht von Freitag, den 12.
    Mai, auf Samstag zwischen elf und ein Uhr gemacht?«
    Die Frage klang fast genauso harmlos wie die erste.
    »Stehe ich unter Verdacht?« Baron von Köpperlingk
    kniff die Augen zusammen und stand abrupt auf.
    »Bitte beantworten Sie meine Frage!«
    »Herr Rat, ich möchte Sie bitten, sich mit meinem
    Anwalt Doktor Lachmann in Verbindung zu setzen.« Der
    Baron legte den Python in sein Terrarium und streckte
    Mock zwei seiner langen Finger entgegen, zwischen de-
    nen eine Visitenkarte steckte. »Ich werde auf all Ihre Fragen in seiner Gegenwart antworten.«
    »Sie können versichert sein, dass ich Ihnen diese Frage
    noch einmal stellen werde, ob in Gegenwart Doktor
    Lachmanns oder Präsident Hindenburgs. Wenn Sie ein
    Alibi haben, könnten wir uns sparen, Doktor Lachmann
    zu bemühen.«
    Der Baron dachte einige Sekunden nach. »Ich habe ein
    Alibi. Ich war zu Hause. Das wird Ihnen mein Diener
    Hans bestätigen.«
    »Verzeihen Sie, aber das ist kein Alibi. Ich glaube Ih-
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    rem Diener genauso wenig wie im Übrigen allen Dienern
    der Welt.«
    »Und glauben Sie Ihrem Assistenten?«
    Bevor Mock verstanden hatte, wollte er schon automa-
    tisch mit »ebenso wenig« antworten. Er blickte auf die
    flammenden Wangen Forstners und schüttelte den Kopf.
    »Ich verstehe nicht ganz. Was hat das mit meinem Assi-
    stenten zu tun?«
    »Oh, nichts. Nur, wir kennen einander schon sehr lan-
    ge …«
    »Ach, interessant … Merkwürdig, dass Sie mir erst
    heute von Ihrer Bekanntschaft erzählen. Und ich habe Sie
    sogar noch vorgestellt. Warum wollten Sie nicht, dass ich
    etwas von Ihrer Freundschaft erfahre?«
    »Es ist ja keine Freundschaft, wir kennen einander ein-
    fach …«
    Mock sah Forstner abwartend an, der aufmerksam das
    Teppichmuster betrachtete.
    »Was wollen Sie mir da einreden, Herr Baron?« Mock
    triumphierte angesichts der Verlegenheit der beiden
    Männer. »Dass wegen dieser einfachen Bekanntschaft
    Forstner zwischen elf und eins in der Nacht bei Ihnen
    war? Sicher erzählen Sie mir auch gleich noch, dass Sie
    Karten gespielt oder Briefmarken angesehen haben.«
    »Nein. Forstner war bei mir auf einem Fest …«
    »Aha, und das war sicher ein ganz besonderes Fest,
    was, Forstner? Immerhin sieht es ja fast so aus, als schämten Sie sich Ihrer Bekanntschaft … Aber vielleicht ist auf dem Fest etwas vorgefallen, was Sie so beschämt?«
    Mock hörte auf, Forstner zu bedrängen. Er wusste nun,
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    was er bisher nur gemutmaßt hatte. Er konnte sich gratu-
    lieren, dass er den Baron so hartnäckig nach seinem Alibi
    gefragt hatte. Denn das hätte er überhaupt nicht tun müs-
    sen. Marietta von der Malten und Françoise Debroux wa-
    ren vergewaltigt worden, und Baron Wilhelm von Köp-
    perlingk war eindeutig homosexuell.
    Als Samtauge Hans schon die Tür hinter ihnen ge-
    schlossen hatte, fiel Mock noch etwas ein. Der Kammer-
    diener musste ihn ein zweites Mal anmelden, und Mock
    traf den Baron in leicht gereizter Stimmung an.
    »Kaufen Sie Ihre Prachtstücke selber, oder erledigt das
    Ihr Diener?«
    »Ich verlasse mich in dieser Hinsicht ganz auf den Ge-
    schmack meines Chauffeurs.«
    »Ihr Chauffeur? Wie sieht der aus?«
    »Er ist gut gebaut, trägt einen Bart und hat ein merk-
    würdig fliehendes Kinn.«
    Mit dieser Antwort war Mock sichtlich zufrieden.

    Breslau, 14. Mai 1933
    Mittag

    Forstner wollte nicht mit dem Wagen beim Universitäts-
    archiv abgesetzt werden. Er behauptete, dass er lieber auf der Oder-Promenade entlangspazieren würde. Mock versuchte nicht, ihn zu überreden, er summte ein Operetten-
    couplet vor sich hin, verließ die Kaiserbrücke, fuhr vorbei an der städtischen Turnhalle, dem Park mit dem Denkmal des Gründers des botanischen Gartens Heinrich
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    Göppert, ließ die Dominikanerkirche rechts und die
    Hauptpost links liegen und bog in die schöne Albrecht-
    straße ein, an deren Anfang der riesige Klotz des Hatz-
    feldpalastes stand. Er fuhr bis zum Ring und nahm dann
    links die Schweidnitzer Straße. Es ging vorbei an der
    Dresdner Bank, an Speiers Geschäft, wo er immer seine
    Schuhe kaufte, und am Bürogebäude von Woolworth in
    die Karlsstraße, wo er einen kurzen Blick auf das Volks-
    theater und das Galanteriewarengeschäft von Dünow
    warf. Hier lenkte er den Wagen in die Graupenstraße.
    Über der Stadt ruhte eine fast sommerliche Hitze, und
    vor dem italienischen Eissalon standen die Menschen
    Schlange. Nach fast hundert

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