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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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schlanken Waden. Ein fesseln-
    des Bild, das auf perfekt geformte Gliedmaßen schließen
    ließ. Mock musterte den schlafenden Zoohändler und rief
    sich ins Gedächtnis, wozu er eigentlich hier war.
    »Wie lange dauert es, bis Ihr Vater wieder zu sich
    kommt? Ich möchte ihn gerne verhören.«
    »Etwa eine Stunde.«
    »Aber vielleicht können Sie mir auch helfen? Ich habe
    vom Hausmeister erfahren, dass Sie bei Ihrem Vater im
    Geschäft arbeiten. Kann man bei Ihnen Skorpione kau-
    fen?«
    »Vor langer Zeit hat mein Vater einmal einige Skor-
    pione über eine griechische Firma in Berlin eingeführt.«
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    »Was heißt ›vor langer Zeit‹?«
    »Vor drei oder vier Jahren.«
    »Wissen Sie noch, wer sie damals bestellt hatte?«
    »Das weiß ich nicht mehr. Aber das wird aus den
    Rechnungen sicher noch ersichtlich sein.«
    »Erinnern Sie sich an den Firmennamen?«
    »Nein … Ich weiß nur noch, dass es sich um eine Ber-
    liner Firma handelte.«
    Mock folgte ihr in das Geschäft. Während Lea die gro-
    ßen dunkelblauen Ordner durchblätterte, stellte er ihr
    noch eine Frage:
    »War in den letzten Tagen noch ein anderer Polizist
    bei Ihnen?«
    »Kempsky, der Hausmeister, hat gesagt, dass gestern
    jemand von der Polizei da war. Wir sind aber vormittags
    nicht zu Hause gewesen. Ich war mit meinem Vater in
    der Ambulanz des Jüdischen Krankenhauses in der Men-
    zelstraße.«
    »Wie heißt der Arzt Ihres Vaters?«
    »Doktor Hermann Weinsberg. Ah, da ist die Rech-
    nung. Drei Skorpione für Baron von Köpperlingk. Das
    war im September 1930, die Berliner Firma Kekridis &
    Söhne hat sie geliefert. Ich bitte Sie«, Lea blickte Mock
    flehentlich an, »kommen Sie in einer Stunde noch ein-
    mal. Dann wird mein Vater wieder ansprechbar sein …«
    Mock hatte immer Verständnis für schöne Frauen. Er
    stand auf und nahm seinen Hut.
    »Ich danke Ihnen sehr, Fräulein Friedländer. Es tut mir
    Leid, dass wir uns unter diesen traurigen Umständen
    kennen gelernt haben, obwohl natürlich kein Umstand
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    unpassend ist, wenn man dabei eine solch schöne Frau
    kennen lernt.«
    Mocks höfischer Abschied hatte auf Lea nicht den ge-
    ringsten Eindruck gemacht. Sie ließ sich schwer auf eine
    Couch fallen. Einige Minuten vergingen, nur das Ticken
    der Uhr war zu hören. Dann vernahm sie ein Geräusch
    aus dem Nachbarzimmer, wo ihr Vater lag. Mit einem
    gekünstelten Lächeln ging sie hinüber.
    »Ah, Papa, du bist so schnell wieder aufgewacht. Das
    ist sehr gut. Darf ich zu Regine gehen?«
    Isidor Friedländer blickte seine Tochter mit angster-
    fülltem Blick an.
    »Ich bitte dich, geh nicht … Lass mich nicht allein …«
    Lea dachte an die Krankheit ihres Vaters, an Regine
    Weiß, mit der sie sich im Deli-Kino den neuen Film mit
    Clark Gable anschauen wollte, an alle Männer, die sie mit
    ihren Blicken auszogen, an den hoffnungslos in sie ver-
    liebten Doktor Weinsberg und an das Piepsen der Meer-
    schweinchen in ihrem dunklen, muffig riechenden Ge-
    schäft.
    Jemand hämmerte heftig an die Tür. Friedländer be-
    deckte mit den Zipfeln seines Kaftans den Fleck auf sei-
    ner Hose und wankte ins Nebenzimmer. Er zitterte. Lea
    legte ihren Arm um ihn.
    »Keine Angst, Papa, das ist sicher der Hausmeister
    Kempsky.«
    Friedländer sah sie beunruhigt an: »Kempsky ist ein
    ausgemachter Flegel, aber er würde nie derartig an die
    Tür hämmern.«
    Er hatte Recht. Es war nicht der Hausmeister.
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    Breslau, 15, Mai 1933.
    Neun Uhr morgens

    Eberhard Mock war am Montagmorgen noch genauso
    zornig, wie er es am Samstag gewesen war. Er verfluchte
    seine Dummheit und seine Schwäche für sinnliche jüdi-
    sche Frauen. Die professionelle Vorgehensweise wäre ge-
    wesen, einfach jemanden vom Polizeipräsidium zu Fried-
    länder zu schicken und ihn in Untersuchungshaft in die
    Neue Graupenstraße zu bringen, um ihn dort genau zu
    verhören. Das hatte er jedoch nicht getan. Er war höflich
    der Bitte von Lea Friedländer um eine Stunde Aufschub
    nachgekommen, und anstatt wie ein routinierter Polizist
    zu handeln, hatte er in der Gastwirtschaft »Zum Grünen
    Polen« in der Reuschelstraße 64 Zeitungen durchgeblät-
    tert, ein Bier getrunken und die Spezialität des Hauses
    verzehrt: Kommissbrot mit pikant gewürztem Tartar. Als
    er eine Stunde später zurückgekehrt war, hatte er eine
    aufgebrochene Tür, ein schreckliches Durcheinander und
    keine Spur der Mieter vorgefunden. Und auch den
    Hausmeister hatte er nirgends finden können.
    Mock rauchte

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