Tod in Breslau
trug,
und machte auf dem Absatz kehrt, um seine Garderobe
im Appartement zu korrigieren. Als er die Hotelhalle
durchquerte, fiel ihm ein groß gewachsener, dunkel ge-
kleideter Mann auf, der sich aus seinem Sessel erhob und
auf ihn zukam. Mock blieb instinktiv stehen. Der Mann
trat an ihn heran, drückte seine Kappe verlegen in den
Händen und verbeugte sich höflich.
»Ach, du bist es, Hermann!« Mock blickte dem Chauf-
feur des Barons von der Malten in das vor Müdigkeit
graue Gesicht.
Hermann Wuttke verbeugte sich noch einmal und
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überreichte Mock ein Kuvert mit den goldenen Initialen
des Barons. Mock las den Brief dreimal durch, steckte ihn
sorgfältig wieder in den Umschlag und murmelte:
»Warte hier auf mich.«
Kurz darauf betrat er mit seiner Reisetasche in der
Hand das Restaurant. Unter den Unheil verkündenden
Blicken der beiden Damen näherte er sich dem Tisch, an
dem seine Frau saß. Sie schaute ihn verzweifelt an und
biss die Zähne zusammen, um die bittere Enttäuschung,
die in ihr aufstieg, hinunterzuschlucken. Es war ihr klar, dass nun der gemeinsame Aufenthalt – ein weiterer miss-glückter Versuch, ihre Vernunftehe zu retten – zu Ende
war. Auch ohne die Tasche hätte sie ihm sofort angese-
hen, dass er in Kürze den Kurort, von dem er seit Jahren
geträumt hatte, verlassen würde. Ein Blick in seine Augen
genügte. Sie waren verschleiert, melancholisch und grau-
sam – wie immer.
Breslau, Donnerstag, 12. Juli 1934.
Zehn Uhr abends
Nach einem zweistündigen Spaziergang im Stadtzentrum,
über den Marktplatz und durch die dunklen Gässchen
um den Blücherplatz, wo sich allerlei Gesindel und leich-
te Mädchen herumtrieben, setzte sich Anwaldt in Orlich’s
Bierstube in der Gartenstraße unweit der Operette und
studierte die Speisekarte. Es gab eine Vielzahl von Kaffee-sorten, heiße Schokolade, eine große Auswahl an Likören
und natürlich Kipke-Bier, aber auch etwas, auf das An-
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waldt jetzt besonders große Lust hatte: Er klappte die
Karte zu und bestellte einen Cognac und Deinert-
Mineralwasser im Siphon. Dann zündete er sich eine Zi-
garette an und sah sich um. Jeweils vier der bequemen
Stühle standen um die dunklen Tische herum, an der
Wand, die mit Ölfarbe gestrichen und deren untere Hälf-
te mit Holz getäfelt war, hingen bunte Landschaftsbilder
aus dem Riesengebirge, hinter grünen Plüschvorhängen
verbargen sich diskrete Logen und die Eingänge zu den
Nebenzimmern. Aus vernickelten Hähnen strömte Bier
in die dickwandigen Krüge. Der ganze Raum war von Ge-
lächter, lauten Gesprächsfetzen und dichtem, aromati-
schem Tabakrauch erfüllt. Anwaldt lauschte den Gesprä-
chen der anderen Gäste und versuchte, ihre Berufe zu er-
raten. Leicht zu erkennen waren all die Handwerker,
Kleinunternehmer und Besitzer der größeren Betriebe,
die ihre Waren in den Geschäften verkauften, die den
Werkstätten angeschlossen waren. Es gab jedoch auch ei-
ne Menge Agenten, kleine Beamte und einige Studenten
in den Couleurs ihrer Burschenschaften. Von Zeit zu Zeit
kamen lachende, grell gekleidete Damen vorüber. Aus
Gründen, die ihm nicht ersichtlich waren, schienen sie
um Anwaldts Tisch einen großen Bogen zu machen. Erst
als er einen Blick auf die Marmorplatte vor sich geworfen
hatte, wurde ihm die Ursache klar: Auf dem Set, bestickt
mit Trebnitzer Blümchen, krabbelte ein schwarzer Skor-
pion. Mit gekrümmtem Leib kroch er auf dem Tisch he-
rum, dabei hielt er seinen giftigen Stachel steil in die Höhe gerichtet, um sich gegen die Hornisse zur Wehr zu setzen,
die eben angreifen wollte.
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Anwaldt schloss die Augen und versuchte seine Phanta-
sie im Zaum zu halten. Vorsichtig tastete er nach der ver-
trauten Form der Bierflasche, die ihm kurz zuvor an den
Tisch gebracht worden war. Er öffnete den Verschluss und
setzte sie an die Lippen, und das flüssige Gold prickelte angenehm in seiner Kehle. Als er die Augen wieder öffnete,
waren die Biester vom Tisch verschwunden. Sogleich über-
kam ihn die Lust, über seine unsinnigen Ängste laut zu la-
chen, und als er das Päckchen Salem-Zigaretten mit der
Abbildung der großen Wespe darauf sah, grinste er überle-
gen. Er füllte das dünnwandige Glas, trank es in einem Zug leer und rauchte hastig. Der mit einer kräftigen Dosis Nikotin versetzte Alkohol ging sofort in sein Blut über. Der Siphon gab ein freundliches Blubbern von sich. Anwaldt
konzentrierte sich auf
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