Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
trug,
    und machte auf dem Absatz kehrt, um seine Garderobe
    im Appartement zu korrigieren. Als er die Hotelhalle
    durchquerte, fiel ihm ein groß gewachsener, dunkel ge-
    kleideter Mann auf, der sich aus seinem Sessel erhob und
    auf ihn zukam. Mock blieb instinktiv stehen. Der Mann
    trat an ihn heran, drückte seine Kappe verlegen in den
    Händen und verbeugte sich höflich.
    »Ach, du bist es, Hermann!« Mock blickte dem Chauf-
    feur des Barons von der Malten in das vor Müdigkeit
    graue Gesicht.
    Hermann Wuttke verbeugte sich noch einmal und
    198
    überreichte Mock ein Kuvert mit den goldenen Initialen
    des Barons. Mock las den Brief dreimal durch, steckte ihn
    sorgfältig wieder in den Umschlag und murmelte:
    »Warte hier auf mich.«
    Kurz darauf betrat er mit seiner Reisetasche in der
    Hand das Restaurant. Unter den Unheil verkündenden
    Blicken der beiden Damen näherte er sich dem Tisch, an
    dem seine Frau saß. Sie schaute ihn verzweifelt an und
    biss die Zähne zusammen, um die bittere Enttäuschung,
    die in ihr aufstieg, hinunterzuschlucken. Es war ihr klar, dass nun der gemeinsame Aufenthalt – ein weiterer miss-glückter Versuch, ihre Vernunftehe zu retten – zu Ende
    war. Auch ohne die Tasche hätte sie ihm sofort angese-
    hen, dass er in Kürze den Kurort, von dem er seit Jahren
    geträumt hatte, verlassen würde. Ein Blick in seine Augen
    genügte. Sie waren verschleiert, melancholisch und grau-
    sam – wie immer.

    Breslau, Donnerstag, 12. Juli 1934.
    Zehn Uhr abends

    Nach einem zweistündigen Spaziergang im Stadtzentrum,
    über den Marktplatz und durch die dunklen Gässchen
    um den Blücherplatz, wo sich allerlei Gesindel und leich-
    te Mädchen herumtrieben, setzte sich Anwaldt in Orlich’s
    Bierstube in der Gartenstraße unweit der Operette und
    studierte die Speisekarte. Es gab eine Vielzahl von Kaffee-sorten, heiße Schokolade, eine große Auswahl an Likören
    und natürlich Kipke-Bier, aber auch etwas, auf das An-
    199
    waldt jetzt besonders große Lust hatte: Er klappte die
    Karte zu und bestellte einen Cognac und Deinert-
    Mineralwasser im Siphon. Dann zündete er sich eine Zi-
    garette an und sah sich um. Jeweils vier der bequemen
    Stühle standen um die dunklen Tische herum, an der
    Wand, die mit Ölfarbe gestrichen und deren untere Hälf-
    te mit Holz getäfelt war, hingen bunte Landschaftsbilder
    aus dem Riesengebirge, hinter grünen Plüschvorhängen
    verbargen sich diskrete Logen und die Eingänge zu den
    Nebenzimmern. Aus vernickelten Hähnen strömte Bier
    in die dickwandigen Krüge. Der ganze Raum war von Ge-
    lächter, lauten Gesprächsfetzen und dichtem, aromati-
    schem Tabakrauch erfüllt. Anwaldt lauschte den Gesprä-
    chen der anderen Gäste und versuchte, ihre Berufe zu er-
    raten. Leicht zu erkennen waren all die Handwerker,
    Kleinunternehmer und Besitzer der größeren Betriebe,
    die ihre Waren in den Geschäften verkauften, die den
    Werkstätten angeschlossen waren. Es gab jedoch auch ei-
    ne Menge Agenten, kleine Beamte und einige Studenten
    in den Couleurs ihrer Burschenschaften. Von Zeit zu Zeit
    kamen lachende, grell gekleidete Damen vorüber. Aus
    Gründen, die ihm nicht ersichtlich waren, schienen sie
    um Anwaldts Tisch einen großen Bogen zu machen. Erst
    als er einen Blick auf die Marmorplatte vor sich geworfen
    hatte, wurde ihm die Ursache klar: Auf dem Set, bestickt
    mit Trebnitzer Blümchen, krabbelte ein schwarzer Skor-
    pion. Mit gekrümmtem Leib kroch er auf dem Tisch he-
    rum, dabei hielt er seinen giftigen Stachel steil in die Höhe gerichtet, um sich gegen die Hornisse zur Wehr zu setzen,
    die eben angreifen wollte.
    200
    Anwaldt schloss die Augen und versuchte seine Phanta-
    sie im Zaum zu halten. Vorsichtig tastete er nach der ver-
    trauten Form der Bierflasche, die ihm kurz zuvor an den
    Tisch gebracht worden war. Er öffnete den Verschluss und
    setzte sie an die Lippen, und das flüssige Gold prickelte angenehm in seiner Kehle. Als er die Augen wieder öffnete,
    waren die Biester vom Tisch verschwunden. Sogleich über-
    kam ihn die Lust, über seine unsinnigen Ängste laut zu la-
    chen, und als er das Päckchen Salem-Zigaretten mit der
    Abbildung der großen Wespe darauf sah, grinste er überle-
    gen. Er füllte das dünnwandige Glas, trank es in einem Zug leer und rauchte hastig. Der mit einer kräftigen Dosis Nikotin versetzte Alkohol ging sofort in sein Blut über. Der Siphon gab ein freundliches Blubbern von sich. Anwaldt
    konzentrierte sich auf

Weitere Kostenlose Bücher