Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
verabschieden. Wir sind mit
    Doktor Hartner, dem Direktor der Universitätsbiblio-
    thek, verabredet.«

    Breslau, 14. Juli 1934.
    Zehn Uhr vormittags

    Obwohl es noch früh war, brannte die Sonne bereits er-
    barmungslos auf Scheiben und Dach des Adlers. Anwaldt
    saß hinter dem Steuer, Mock gab ihm Anweisungen und
    erläuterte die Straßen und Gebäude, an denen sie vorbei-
    kamen. Sie fuhren durch den Krietener Weg, an dessen
    Seiten sich ärmliche Arbeitersiedlungen erstreckten, da-
    zwischen standen immer wieder kleine, blumenge-
    schmückte Häuser. Dann verließen sie Breslau und ge-
    langten nach Klettendorf. Die schwere Luft war vom süß-
    lichen Geruch der Zuckerfabrik durchdrungen. Rechts
    207
    ließen sie die erst vor kurzem gebaute evangelische Kir-
    che hinter sich, die durch den niedrigen Zaun von dem
    Pfarrhaus getrennt war, das sich hinter hohen Bäumen
    versteckte. Die Autoreifen dröhnten auf dem unebenen
    Asphalt der Klettendorfer Straße. Mock wurde nach-
    denklich und hörte unvermittelt auf, die Gegend zu
    kommentieren. Sie fuhren durch eine wunderschöne
    Vorstadtsiedlung mit vielen Gärten und Villen.
    »Aha, sind wir jetzt in Opperach? Nur dass wir von ei-
    ner anderen Seite kommen, stimmt’s?«
    »Ja. Aber es heißt Opperau und nicht Opperach.« An-
    waldt stellte keine weiteren Fragen. Sie parkten vor Ma-
    dame le Goefs Salon. Es war sehr still, sodass man die Ru-
    fe der Badenden hören konnte, die sich bereits um diese
    Zeit im zweihundert Meter entfernten Sportbad tummel-
    ten. Mock stieg nicht aus. Er zog seine Zigaretten heraus
    und bot Anwaldt eine an. Das gestreifte, hellblaue Papier
    wurde in der Hand sofort feucht.
    »Sie haben Fürchterliches mitgemacht, Herbert.«
    Mock stieß bei jedem gesprochenen Wort kleine Rauch-
    wolken aus Nase und Mund. »Es gab eine Zeit, da habe
    ich ähnliche Erfahrungen gemacht, daher weiß ich auch,
    wie man den Groll in sich besiegt. Man muss in die Of-
    fensive gehen, man muss jemandem an die Gurgel fah-
    ren, kratzen und beißen! Kämpfen! Sich aufraffen! Heute
    werden wir zum Angriff übergehen, Herbert, und als Er-
    sten trifft es diesen käuflichen Erotomanen Maass! Und
    was können wir gegen ihn verwenden?« Statt einer Ant-
    wort machte er eine Kopfbewegung hin zu dem kleinen
    Palais in dem sonnendurchfluteten Garten. Sie löschten
    208
    ihre Zigaretten und stiegen aus. Weder am Tor noch auf
    dem Weg zum Eingang hielt sie irgendjemand zurück.
    Die Portiers verbeugten sich höflich vor Mock. Nachdem
    dieser einige Male ungeduldig geläutet hatte, öffnete sich die Tür einen Spalt weit. Mock versetzte ihr einen kräftigen Tritt, sodass sie aufflog, und brüllte den erschrocke-
    nen Kammerdiener an:
    »Wo ist Madame?!«
    Die Eigentümerin kam schon mit wehenden Schößen
    die Treppe heruntergelaufen, unterwegs band sie sich ih-
    ren Hausmantel zu. Sie war nicht weniger überrascht als
    ihr Angestellter.
    »Oh, Exzellenz, was ist geschehen? Warum Sie so böse?«
    Mock stellte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe,
    stemmte seine Fäuste in die Seiten und donnerte los, dass
    die Kristalle des Lüsters in der Halle leise klirrten.
    »Was in Dreiteufelsnamen hat das zu bedeuten?! Mein
    Mitarbeiter wird in diesem Haus wie ein Bandit attak-
    kiert? Wie habe ich das zu verstehen?!«
    »Verzeihung, aber das war Missverständnis. Junger
    Mann hatte keinen Dienstausweis. Aber bitte! Bitte … In
    mein Zimmer … Kurt bring Bier, einen Siphon, Eis, Zuk-
    ker und Zitronen.«
    Mock machte es sich hinter Madames Schreibtisch be-
    quem, Anwaldt nahm auf dem Ledersofa Platz. Madame
    setzte sich auf die Kante eines Stuhls und blickte ängstlich vom einen Polizisten zum anderen. Mock schwieg. Der
    Diener kam herein.
    »Viermal Limonade!«, befahl Mock. »Zwei für diesen
    Herrn.«
    209
    Gleich darauf standen auf dem kleinen Tisch vier
    schlanke, beschlagene Gläser, und die Tür schloss sich
    hinter dem Diener. Anwaldt stürzte sein Getränk gierig
    hinunter. Am zweiten nippte er nur.
    »Bitte lassen Sie die angebliche Gymnasiastin und
    noch eine andere hübsche Achtzehnjährige kommen. Es
    sollte sich um eine ›Jungfrau‹ handeln, Sie wissen, was ich meine? Mit denen möchten wir gerne allein gelassen
    werden.«
    Madame lächelte bedeutsam und zog sich mit einem
    Hofknicks zurück, nachdem sie mit einem ihrer sorgfältig
    geschminkten Augen Mock noch einmal viel sagend zu-
    gezwinkert hatte. Sie war froh, dass »Seine Exzellenz«
    nicht mehr böse

Weitere Kostenlose Bücher