Tod in Breslau
verabschieden. Wir sind mit
Doktor Hartner, dem Direktor der Universitätsbiblio-
thek, verabredet.«
Breslau, 14. Juli 1934.
Zehn Uhr vormittags
Obwohl es noch früh war, brannte die Sonne bereits er-
barmungslos auf Scheiben und Dach des Adlers. Anwaldt
saß hinter dem Steuer, Mock gab ihm Anweisungen und
erläuterte die Straßen und Gebäude, an denen sie vorbei-
kamen. Sie fuhren durch den Krietener Weg, an dessen
Seiten sich ärmliche Arbeitersiedlungen erstreckten, da-
zwischen standen immer wieder kleine, blumenge-
schmückte Häuser. Dann verließen sie Breslau und ge-
langten nach Klettendorf. Die schwere Luft war vom süß-
lichen Geruch der Zuckerfabrik durchdrungen. Rechts
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ließen sie die erst vor kurzem gebaute evangelische Kir-
che hinter sich, die durch den niedrigen Zaun von dem
Pfarrhaus getrennt war, das sich hinter hohen Bäumen
versteckte. Die Autoreifen dröhnten auf dem unebenen
Asphalt der Klettendorfer Straße. Mock wurde nach-
denklich und hörte unvermittelt auf, die Gegend zu
kommentieren. Sie fuhren durch eine wunderschöne
Vorstadtsiedlung mit vielen Gärten und Villen.
»Aha, sind wir jetzt in Opperach? Nur dass wir von ei-
ner anderen Seite kommen, stimmt’s?«
»Ja. Aber es heißt Opperau und nicht Opperach.« An-
waldt stellte keine weiteren Fragen. Sie parkten vor Ma-
dame le Goefs Salon. Es war sehr still, sodass man die Ru-
fe der Badenden hören konnte, die sich bereits um diese
Zeit im zweihundert Meter entfernten Sportbad tummel-
ten. Mock stieg nicht aus. Er zog seine Zigaretten heraus
und bot Anwaldt eine an. Das gestreifte, hellblaue Papier
wurde in der Hand sofort feucht.
»Sie haben Fürchterliches mitgemacht, Herbert.«
Mock stieß bei jedem gesprochenen Wort kleine Rauch-
wolken aus Nase und Mund. »Es gab eine Zeit, da habe
ich ähnliche Erfahrungen gemacht, daher weiß ich auch,
wie man den Groll in sich besiegt. Man muss in die Of-
fensive gehen, man muss jemandem an die Gurgel fah-
ren, kratzen und beißen! Kämpfen! Sich aufraffen! Heute
werden wir zum Angriff übergehen, Herbert, und als Er-
sten trifft es diesen käuflichen Erotomanen Maass! Und
was können wir gegen ihn verwenden?« Statt einer Ant-
wort machte er eine Kopfbewegung hin zu dem kleinen
Palais in dem sonnendurchfluteten Garten. Sie löschten
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ihre Zigaretten und stiegen aus. Weder am Tor noch auf
dem Weg zum Eingang hielt sie irgendjemand zurück.
Die Portiers verbeugten sich höflich vor Mock. Nachdem
dieser einige Male ungeduldig geläutet hatte, öffnete sich die Tür einen Spalt weit. Mock versetzte ihr einen kräftigen Tritt, sodass sie aufflog, und brüllte den erschrocke-
nen Kammerdiener an:
»Wo ist Madame?!«
Die Eigentümerin kam schon mit wehenden Schößen
die Treppe heruntergelaufen, unterwegs band sie sich ih-
ren Hausmantel zu. Sie war nicht weniger überrascht als
ihr Angestellter.
»Oh, Exzellenz, was ist geschehen? Warum Sie so böse?«
Mock stellte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe,
stemmte seine Fäuste in die Seiten und donnerte los, dass
die Kristalle des Lüsters in der Halle leise klirrten.
»Was in Dreiteufelsnamen hat das zu bedeuten?! Mein
Mitarbeiter wird in diesem Haus wie ein Bandit attak-
kiert? Wie habe ich das zu verstehen?!«
»Verzeihung, aber das war Missverständnis. Junger
Mann hatte keinen Dienstausweis. Aber bitte! Bitte … In
mein Zimmer … Kurt bring Bier, einen Siphon, Eis, Zuk-
ker und Zitronen.«
Mock machte es sich hinter Madames Schreibtisch be-
quem, Anwaldt nahm auf dem Ledersofa Platz. Madame
setzte sich auf die Kante eines Stuhls und blickte ängstlich vom einen Polizisten zum anderen. Mock schwieg. Der
Diener kam herein.
»Viermal Limonade!«, befahl Mock. »Zwei für diesen
Herrn.«
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Gleich darauf standen auf dem kleinen Tisch vier
schlanke, beschlagene Gläser, und die Tür schloss sich
hinter dem Diener. Anwaldt stürzte sein Getränk gierig
hinunter. Am zweiten nippte er nur.
»Bitte lassen Sie die angebliche Gymnasiastin und
noch eine andere hübsche Achtzehnjährige kommen. Es
sollte sich um eine ›Jungfrau‹ handeln, Sie wissen, was ich meine? Mit denen möchten wir gerne allein gelassen
werden.«
Madame lächelte bedeutsam und zog sich mit einem
Hofknicks zurück, nachdem sie mit einem ihrer sorgfältig
geschminkten Augen Mock noch einmal viel sagend zu-
gezwinkert hatte. Sie war froh, dass »Seine Exzellenz«
nicht mehr böse
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