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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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zurück in die Zelle – in Begleitung
    des Türken, der Anwaldt wohl bekannt war.
    »Du hast gelogen, Dummkopf!« Er wandte sich an den
    Türken: »War so einer beim Baron?« Der Riese blätterte,
    nachdem er sich eine Brille aufgesetzt hatte, einen kleinen Stapel mit schwarz-silbernen Einladungen durch. Dabei
    schüttelte er den Kopf.
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    »Du hast meine Zeit verschwendet und dich über mich
    lustig gemacht. Du hast mir übel mitgespielt. Du hast
    mich geärgert.« Der Gestapo-Mann seufzte und zog ein
    paar Mal die Nase hoch. Zum Türken sagte er: »Küm-
    mern Sie sich jetzt um ihn. Vielleicht haben Sie mehr
    Glück.«
    Der Türke holte zwei Flaschen Honig hervor, mit nur
    wenig Wasser vermischt, und goss beide gleichzeitig
    langsam über Anwaldts Kopf, Arme und Bauch. Beson-
    ders großzügig bedachte er Unterleib und Genitalien.
    Anwaldt wollte schreien, aus seiner Kehle drang nur ein
    Gurgeln, aber der Türke verstand: »Ich werde sprechen!«
    Er blickte zum Standartenführer hinüber, der ihm das
    Zeichen gab, weiterzumachen. Der Türke nahm ein Ein-
    machglas und hielt es dem Gefangenen unter die Nase.
    Etwa ein Dutzend Hornissen rasten derartig wild darin
    herum, dass sich die dicke Verschlussmembran wie das
    Fell einer Trommel zu wölben schien.
    »Ich werde sprechen!!!«
    Der Türke hielt das Glas in seiner ausgestreckten
    Hand. Über dem Betonboden.
    »Ich werde sprechen!!!«
    Der Türke ließ das Glas fallen.
    »Ich werde sprechen!!!«
    Das Glas fiel. Anwaldt verlor die Kontrolle über seine
    Blase. Das Glas landete auf dem Boden, und er verlor das
    Bewusstsein. Das Gefäß aber war unversehrt, rollte nur
    mit einem dumpfen Knirschen über den Beton.
    Der Türke trat angewidert einen Schritt von seinem
    bewusstlosen Opfer zurück. Aber Konrad kam herein,
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    band Anwaldt vom Stuhl los und packte ihn unter den
    Achseln, sodass seine Füße durch die Urinlache schleif-
    ten. Der Standartenführer bellte:
    »Los, die Pisse von ihm abwaschen, und dann ab in
    den Oswitzer Wald mit ihm!« Er schloss die Tür hinter
    Konrad und sah den Türken an. »Was ist, warum schau-
    en Sie so verwundert, Erkin?«
    »Es ist nur, weil, Sie hatten ihn doch schon so weit,
    Herr Standartenführer Kraus! Er war kurz davor, alles
    auszuspucken.«
    »Sie sind ein Hitzkopf, Erkin.« Kraus besah sich die
    Hornissen, die in dem dickwandigen Gefäß aus Jena-Glas
    herumrasten. »Haben Sie ihn sich angeschaut? Ich kenne
    diese Sorte. Er hätte angefangen, uns einen solchen Blöd-
    sinn aufzutischen, dass wir eine Woche damit beschäftigt
    wären, das alles nachzuprüfen. So lange kann ich ihn aber
    unmöglich hier behalten. Noch hat Mock zu viel Einfluss,
    und auch zur Abwehr hat er gute Kontakte. Außerdem:
    Anwaldt gehört jetzt mir. Sollte er wieder abreisen, dann
    werden sich sofort meine Leute in Berlin seiner anneh-
    men. Wenn er jedoch hier bleibt, kann ich ihn jederzeit
    noch einmal zu einem Gespräch einladen. Im einen wie
    im anderen Fall genügt es, dass man ihm eine gewöhnli-
    che Biene vor die Nase hält, und schon wird er anfangen
    zu plaudern. Es ist so, Erkin: Ab heute sind wir beide für diesen Polizisten die Dämonen, die ihn nicht mehr loslas-sen …«

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    Breslau, Mittwoch, 11. Juli 1934.
    Drei Uhr morgens

    Wie ein feuchter Schleier hatte sich Tau auf die Erde ge-
    legt. Seine glitzernden Perlen hingen an Gräsern, lagen
    auf den Blättern der Bäume und auf dem nackten Körper
    eines Mannes. Bei der Berührung mit den entzündeten
    Knoten unter seiner Haut schien er sofort zu verdamp-
    fen. Der Mann erwachte. Zum ersten Mal seit vielen Ta-
    gen zitterte er vor Kälte. Er musste alle Kraft zusammen-
    nehmen, um aufzustehen, eine Zeit lang irrte er hum-
    pelnd zwischen den Bäumen umher, bis er auf einen
    Kiesweg gelangte. Er näherte sich einem dunklen Gebäu-
    de, dessen kantiger Schatten sich scharf vom heller wer-
    denden Himmel abhob. Im selben Moment stach ihm das
    blendende Scheinwerferlicht eines Wagens vor dem Ge-
    bäude schmerzhaft in die Augen. Anwaldts Nacktheit war
    mit einem Mal aus der Dunkelheit in die Mitte eines
    Lichtkegels gerückt. Er hörte den Ruf: »Stehen bleiben!«,
    das unterdrückte Lachen einer Frau und den knirschen-
    den Kies unter den Fußsohlen einiger Männer, die auf
    ihn zukamen. Er fühlte eine Berührung und dann, wie ei-
    ne raue Decke über seinen zerschundenen Körper gewor-
    fen wurde.
    Als er später die Augen öffnete, war er in das sanfte
    Licht einer

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