Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
das Gespräch am Nachbartisch.
    »Machen Sie sich nichts daraus, Herr Schultze, das Leben
    ist nun mal nicht leicht! Ich kann Ihnen versichern …«,
    schwatzte ein Mensch mit einer etwas schief sitzenden
    Melone drauflos. »Ich sage Ihnen: Niemand kann wissen,
    wann es einen erwischt … Tatsache! Nehmen Sie den
    letzten Unfall: Die Trambahn biegt von der Teichstraße
    in die Gartenstraße, dort beim Bäcker Hirschlik … und
    was soll ich Ihnen sagen: rammt doch in voller Fahrt eine
    Droschke, die gerade zum Bahnhof unterwegs ist. Das
    war so ein Hüne von einem Kutscher, der hat überlebt,
    aber eine Frau mit Kind: tot! … Dieser Schurke von
    Trambahnfahrer hat die beiden ins Jenseits befördert!
    Niemand weiß, wann es einen erwischt, weder Sie noch
    ich, weder der da noch sonst jemand … he, du rampo-
    nierter Geselle, was glotzt du so?«
    201
    Der Siphon zischelte irritiert. Anwaldt senkte den Blick.
    Er hob die Tischdecke ein wenig an und sah, wie sich da-
    runter zwei Hornissen begatteten, ihre Körper klebten
    dicht aufeinander. Hastig strich er das weiße Tischtuch
    glatt, und vor seinen Augen verwandelte es sich in einen
    Bettbezug, der den Bankier Schmetterling notdürftig be-
    deckte. Die krampfhaft miteinander verflochtenen Glied-
    maßen gehörten zur Hälfte der hübschen Gymnasiastin
    Erna.
    Er trank zwei Cognacs hintereinander und wagte einen
    Blick zur Seite, wobei er es vermied, den betrunkenen Di-
    cken anzusehen, der Herrn Schultze in die Geheimnisse
    des Weltgeschehens einweihte.
    »Was? Beim Bismarckbrunnen? Auf dem Königsplatz,
    sagst du? Da kommen die alle hin? Und hauptsächlich
    Dienstmädchen und Kindermädchen?«
    »Ja, und ich sage dir, das ist wirklich famos! Du musst
    nicht groß schöntun oder dich sonst wie aufplustern. Die
    wollen doch dasselbe von dir, wie du von ihnen …« Ein
    magerer Student trank seinen Beaujolais direkt aus der
    Flasche und kam immer mehr ins Schwärmen. »So ist es.
    Klare Sache. Du gehst hin zu einer, lächelst ein bisschen
    nett und nimmst sie mit. Das kostet dich weder Geld
    noch Ehre. Auf die Soldaten kannst du getrost pfeifen! …
    Pardon, kenne ich Sie von irgendwoher?«
    »Nein, ich habe gerade nachgedacht …«, entgegnete
    Anwaldt. (Ich würde gerne mit jemandem sprechen. Oder
    Schach spielen. Ja – Schach! So wie damals im Waisen-
    haus. Mit Karl, das war ein fanatischer Schachspieler. Wir stellten zwischen unsere Betten immer einen Koffer aus 202
    Pappe, und darauf ein Schachbrett. Einmal, als wir gerade spielten, ist der besoffene Erzieher in den Schlafsaal gekommen.) Anwaldt konnte das Klappern der Schachfiguren hören, die zu Boden fielen, er spürte wieder die Trit-
    te, die der Erzieher dem Koffer und den beiden Jungen
    verpasst hatte, die unter das Bett geflüchtet waren.
    »Ich sach’ Ihnen was, Herr Schultze, ich sach nämlich:
    gut, dass man diese Professoren an die Luft gesetzt hat.
    Ich sach, kein Jidd soll unseren Kindern Deutsch beibrin-
    gen … die sollen nich … die sollen nich unsere Kinder
    besudeln …«
    Das Summen der Gasflämmchen, das ungeduldige Zi-
    scheln des Siphons: Trink noch etwas!
    »Also, diese polnischen Studenten: Die haben einfach
    keine Bildung – nicht für fünf Pfennig! Aber Ansprüche!
    Und was für Manieren! Ist gut, dass man ihnen bei der
    Gestapo die Flötentöne beibringt. Schließlich sind wir in
    einer deutschen Stadt, da sollen sie gefälligst deutsch
    sprechen!«
    Anwaldt stolperte zur Toilette. Auf dem Weg stieß er
    auf zahlreiche Hindernisse: Unebenheiten im Parkett, Ti-
    sche, die ihm den Durchgang verstellten, Kellner, die
    durch den dichten Rauch hasteten. Endlich war er am
    Ziel. Er knöpfte die Hosen auf, stützte sich mit beiden
    Händen an die Wand und gab schwankend seinem
    Drang nach. Durch das gleichmäßige Wasserrauschen
    hindurch hörte er seinen dumpfen Herzschlag. Diesem
    Geräusch lauschte er eine Zeit lang angestrengt. Plötzlich vernahm er einen Schrei und sah Lea Friedländers Körper über sich von der Decke baumeln. Wie von Sinnen
    203
    stürzte er zurück in den Saal. Er musste unbedingt etwas
    trinken, um dieses Bild in seinem Kopf zu ertränken.
    »Ach, wie ich mich freue, Sie zu sehen, Herr Kriminal-
    direktor! Nur Sie können mir helfen!«, rief er freudig
    beim Anblick Mocks, der an seinem Tisch saß und eine
    dicke Zigarre rauchte.
    »Immer mit der Ruhe, Anwaldt, das stimmt ja alles gar
    nicht! Lea Friedländer lebt ja.« Die kräftige, dunkel be-
    haarte Hand

Weitere Kostenlose Bücher