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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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gie-
    rig seinen Hackbraten mit Sauerkraut und Kartoffeln hi-
    nunterschlang.
    »Herbert? Werden Sie mir nicht böse sein?« Mock
    strich über seinen vorstehenden Bauch. »Ich habe mehr
    gegessen, als mir gut tut, aber wie ich sehe, schmeckt es
    Ihnen. Vielleicht möchten Sie von mir noch ein Stück
    Lachs? Ich habe es nicht einmal angerührt.«
    »Oh, danke, sehr gerne! Mit dem größten Vergnügen.«
    Anwaldt lächelte. Noch nie hatte jemand mit ihm sein Es-
    sen geteilt. Er vertilgte den Fisch mit Appetit und trank
    dazu einige Gläser starken Schwarztee.
    In Gedanken entwarf Mock eine Charakteristik An-
    waldts. Sie war bisher noch unvollständig geblieben, da er die erlittenen Foltern in der Gestapozelle nicht mit be-rücksichtigt hatte. Es wollte ihm jedoch weder eine ge-
    schickte Frage noch sonst ein Weg einfallen, auf dem er
    Anwaldt irgendwelche Bekenntnisse hätte entlocken
    können. Einige Male setzte er zu einer Frage an, verwarf
    sie aber wieder, weil ihm schien, dass alles, was er sagen 216
    wollte, blödsinnig und platt war. Er musste sich mit dem
    Gedanken anfreunden, dass er den Mädchen bei Madame
    le Goef nächste Woche kein Charakterbild seines Mitar-
    beiters Anwaldt würde vortragen können.
    »Es ist jetzt halb zwei. Bitte lesen Sie bis halb fünf die Akte des Baron von Köpperlingk durch, und überlegen
    Sie sich, wie man ihn in die Mangel nehmen könnte.
    Werden Sie auch noch die Akten unserer türkischen Mit-
    bürger durchsehen? Vielleicht finden Sie etwas. Um halb
    fünf geben Sie Forstner alle Unterlagen zurück und holen
    die fertigen Bilder von Ehlers ab. Bringen Sie sie mir
    dann nach Hause. Sie können das Auto nehmen. Alles
    klar?«
    »Alles klar!«
    »Na, warum sehen Sie mich dann so merkwürdig an?
    Brauchen Sie noch etwas?«
    »Nein, nichts … Es ist nur, weil … noch nie hat je-
    mand mit mir sein Essen geteilt.«
    Mock lachte schallend und klopfte Anwaldt auf die
    Schulter.
    »Das sollten Sie aber nicht als Zeichen meiner beson-
    deren Sympathie verstehen«, log er. »Das habe ich schon
    als Kind immer getan, denn ich durfte meinen Teller
    immer nur vollkommen leer zurückbringen … Ich werde
    jetzt mit einer Droschke nach Hause fahren, da ich ein
    bisschen schlafen muss. Auf Wiedersehen.«
    Der Kriminaldirektor schlief bereits in der Droschke
    ein. An der Grenze zwischen Wachen und Schlaf kam
    ihm ein Sonntagsessen vor etwa einem Jahr in den Sinn.
    Er hatte mit seiner Frau zusammen gespeist, Rippchen
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    mit Tomatensauce. Auch sie aß mit großem Appetit, zu-
    erst das Fleisch. Im Gegensatz zu seiner Frau hatte Mock
    die Angewohnheit, sich die besten Bissen immer bis zum
    Schluss aufzusparen. Sie sah ihn bittend an:
    »Gib mir doch ein Stückchen Fleisch.«
    Mock hatte nicht reagiert, sondern das ganze Stück,
    das sich noch auf seinem Teller befand, auf einmal in sei-
    nen Mund gestopft.
    Sie war verärgert aufgestanden: »Ich bin sicher, dass du
    nicht mal deinen Kindern etwas abgeben würdest … vor-
    ausgesetzt natürlich, du könntest Kinder haben!« (Wieder einmal war sie im Unrecht gewesen. Schließlich habe ich etwas von meinem Essen abgegeben. Und das einem Fremden!)

    Breslau, 14. Juli 1934.
    Zwei Uhr nachmittags

    Anwaldt verließ das Restaurant und setzte sich in den
    Wagen. Er warf einen Blick auf die Akte mit dem Gesta-
    po-Siegel und das Päckchen, das er heute früh aus dem
    Archiv geholt hatte. Als er es auswickelte, erschauerte er: Da lag sie vor ihm, diese geheimnisvolle Schrift. Schwärzlich verfärbtes Blut auf blauer Tapete. Er packte alles wieder zusammen und stieg aus dem Auto. Unter dem Arm
    hielt er die Gestapo-Akte und die Reisedecke, die Mock
    auf dem Rücksitz verstaut hatte. Er verspürte keine Lust,
    durch die glühende Stadt zu fahren, stattdessen ging er in Richtung der schlanken Türme der St.-Michaels-Kirche
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    in den Waschteichpark. Mock hatte ihm während der
    Fahrt die Herkunft dieses merkwürdigen Namens erläu-
    tert: Im Mittelalter hatten die Frauen ihre Wäsche in dem
    Teich gewaschen. Heute rannten lärmende Kinder um
    ihn herum, und die meisten Bänke waren von Kinder-
    mädchen und Dienstpersonal besetzt, die sich mit schril-
    ler Stimme ihren Zankereien widmeten und sie nur ab
    und zu mit einem mahnenden Zuruf an die Kinder un-
    terbrachen, die im seichten Uferwasser plantschten. Die
    restlichen Bänke waren von Soldaten und einigen Ju-
    gendlichen aus der Umgebung belegt, die sich wichtig
    machten und Zigaretten

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