Tod in Breslau
verstellte
ihnen den Weg und fragte erschrocken:
»Wohin, die Herren?«
Mock, Ehlers und Smolorz schenkten ihm nicht die ge-
ringste Beachtung. Doch Anwaldt gab ihm einen Stoß,
sodass der kleine Mann gegen die Wand taumelte, wo ihn
Anwaldt mit einer Hand festhielt, während er ihm mit
der anderen die borstige Wangen so zusammendrückte,
dass sich sein Mund zu einem Rüssel kräuselte.
»Wir sind von der Polizei, aber du hast uns nicht gese-
hen, verstanden? Oder möchtest du Ärger kriegen?«
Der Hausmeister nickte, dass er verstanden habe, und
verschwand schleunigst in den Hinterhof.
Anwaldt hatte einige Mühe, in den ersten Stock zu
steigen. Er drückte die Messingklinke: Die Tür gab nach.
213
Obwohl das Gespräch mit dem Hausmeister und der
Weg durch das Treppenhaus kaum zwei Minuten in An-
spruch genommen hatten, waren die beiden Polizisten
und der Fotograf unterdessen nicht nur lautlos in die
Wohnung eingedrungen, sondern hatten auch bereits mit
ihrer systematischen Durchsuchung begonnen. Anwaldt
gesellte sich rasch zu ihnen. Mit Handschuhen hoben sie
diverse Gegenstände hoch, um sie genau anzusehen und
sie dann wieder genau am selben Platz abzustellen. Nach
einer Stunde trafen sich alle im Arbeitszimmer von
Maass, das Mock höchstpersönlich inspiziert hatte.
»Setzt euch!« Mock wies ihnen die Stühle zu, die um
einen runden Tisch herumstanden. »Seid ihr mit Küche,
Badezimmer, Schlafzimmer und Salon durch? Gute Ar-
beit! Gab es dort nichts Interessantes? Das habe ich mir
gedacht. Hier gibt es nur eines, das von Interesse ist: Dieses Heft. Also los Ehlers, ans Werk!«
Der Fotograf packte seine Geräte aus, stellte das Stativ
auf den Schreibtisch, regelte die Höhe und befestigte sei-
ne »Zeiss« darauf. Das Notizheft legte er auf die Tisch-
platte. Er schlug die erste Seite auf, legte eine Glasscheibe darüber, stellte das Objektiv ein und betätigte den Draht-auslöser. Es blitzte. Auf das Zelluloid war die Titelseite gebannt: » Chronik des Ibn Sahim . Übersetzt von Dr.
Maass.« Das Blitzlicht flammte noch fünfzehnmal auf, bis
alle mit der kleinen, säuberlichen Schrift bedeckten Seiten fotografiert waren. Mock sah auf die Uhr und sagte:
»Meine Herren, wir liegen gut in der Zeit. Ehlers, wann
können Sie die Bilder fertig haben?«
»Um fünf.«
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»Dann wird Herr Anwaldt sie abholen. Niemand an-
ders als er, verstehen Sie?«
»Ich verstehe.«
»Das wär’s. Ich danke Ihnen.«
Smolorz schloss die Tür wieder mit der gleichen Leich-
tigkeit, mit der er sie geöffnet hatte. Anwaldt spähte
durch die Mosaikfenster des Stiegenhauses und konnte
durch das dunkle, farbige Glas den Hausmeister erken-
nen, der den Hof auskehrte und dabei immer wieder
ängstlich zu den Fenstern hinaufsah. Vermutlich wusste
er nicht einmal, in welche Wohnung sie eingedrungen
waren. Nur wenige Sekunden später befanden sie sich
wieder im Wagen. Diesmal fuhr Mock: durch die Agnes-
straße zum Polizeipräsidium, wo Ehlers und Smolorz
ausstiegen. Mock und Anwaldt bogen in die Schweidnit-
zer Straße ein, fuhren über den Zwingerplatz, und als die
Kaffeerösterei und der »Kaufmannszwinger« hinter ihnen
lagen, gelangten sie auf die verkehrsreiche Schuhbrücke.
Sie passierten die beiden Kaufhäuser »Petersdorff« und
»Gebrüder Barasch«, auf dessen Dach ein beleuchteter
Globus angebracht war, und ließen das Paläontologische
Museum und das ehemalige Polizeipräsidium hinter sich.
Sie steuerten auf die Oder zu. Beim Matthiasgymnasium
bogen sie nach rechts ab und befanden sich gleich darauf
auf der Dominsel. Nachdem sie den mittelalterlichen
Dom mit dem roten Gebäude des Priesterseminars Geor-
gianum passiert hatten, hielten sie schließlich in der Adal-bertstraße. Und kurz darauf saßen sie im Restaurant
»Lessing«, wo sie ein Kellner mit einer tiefen Verbeugung
begrüßte.
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Im Saal herrschte angenehme Kühle. Das Atmen fiel
gleich wieder leichter. Beide wurden von einer wohligen
Schläfrigkeit ergriffen, und Anwaldt schloss die Augen.
Er hatte das Gefühl, von einer großen, sanften Woge ge-
schaukelt zu werden, und nur von fern nahm er wahr,
wie Besteck klapperte. Mock machte sich mit zwei Gabeln
über seinen knusprigen Lachs in Krensoße her. Amüsiert
schaute er seinen schlafenden Kollegen an.
»Wachen Sie auf, Anwaldt.« Er gab ihm einen Stups
mit dem Ellbogen. »Ihr Essen wird kalt.«
Kurz darauf betrachtete er rauchend, wie Anwaldt
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