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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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rauchten.
    Anwaldt zog das Jackett aus, breitete die Reisedecke
    auf den Rasen und begann mit der Durchsicht der Akte
    Köpperlingk. Doch er konnte darin nichts Geeignetes
    finden, um ihn »in die Mangel zu nehmen«. Mehr noch:
    alle Festivitäten, die der Baron je in seiner Wohnung und
    auf seinem Anwesen arrangiert hatte, hatten den Segen
    der Gestapo. (Mock hat mir erzählt, als Kraus von der
    Homosexualität seines Agenten erfahren hat, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Aber dann, als er sich klar machte, welchen Nutzen er durch ihn haben könnte, hat er sich
    schnell eines Besseren besonnen.) Eine letzte Eintragung, diesmal über den Diener des Barons, Hans Tetges, machte Anwaldt jedoch Hoffnung.
    Er legte sich auf den Rücken und ließ seinen Gedanken
    freien Lauf. Und schließlich fiel ihm eine gleichermaßen
    brutale wie effektive Vorgehensweise gegen den Baron
    ein. Zufrieden machte er sich daran, die acht Akten der
    von Gestapo und Kripo erfassten Türken zu studieren.
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    Von ihnen hatten fünf bereits vor dem neunten Juli, an
    dem der Maskenball bei Köpperlingk stattgefunden hatte,
    Breslau verlassen. Die restlichen drei schieden aus Alters-gründen aus – denn es war nicht sehr wahrscheinlich,
    dass Anwaldts Peiniger erst zwanzig Jahre alt war (wie die beiden Studenten der Technischen Hochschule) oder gar
    bereits sechzig (wie ein Händler, der wegen seiner über-
    mäßigen Spielleidenschaft in die Gestapo-Akten Eingang
    gefunden hatte). Aber natürlich blieb noch die Möglich-
    keit, dass die Erkundigungen von Smolorz beim Melde-
    amt und dem türkischen Konsulat weitere Informationen
    über andere Orientalen lieferten, die bisher noch nicht
    das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatten, Gegenstand
    einer polizeilichen Untersuchung zu werden.
    Selbst während er die Akten der Türken studierte,
    dachte Anwaldt fieberhaft darüber nach, wie die »Schlin-
    ge um den Hals des Barons« aussehen könnte. Aber seine
    Konzentration wurde immer wieder durch den lautstar-
    ken Protest eines Kindes gestört, das in Anwaldts Nähe
    zurechtgewiesen wurde. Anwaldt stützte sich auf den Ell-
    bogen und hörte der gutmütigen, beschwichtigenden
    Stimme des nicht mehr ganz jungen Kindermädchens
    und dem hysterischen Kreischen des Kleinen zu.
    »Aber Klaus, jetzt sage ich es dir noch einmal: Der
    Mann, der gestern angekommen ist, das ist wirklich dein
    Papa.«
    »Nein! Den kenne ich gar nicht! Meine Mama hat ge-
    sagt, dass ich keinen Papa habe.« Der zornige Dreikäse-
    hoch stampfte trotzig mit dem Fuß auf.
    »Deine Mama hat das bloß gesagt, weil alle gedacht
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    haben, dass dein Papa von wilden Indianern in Brasilien
    umgebracht worden ist.«
    »Meine Mama lügt nie!« Der hohe Diskant des Kleinen
    überschlug sich fast.
    »Na, sie hat ja auch nicht gelogen. Sie hat gesagt, dass
    du keinen Papa hast, weil sie geglaubt hat, dass er tot ist
    … Und jetzt wissen wir aber, dass er sehr wohl lebt. Jetzt hast du wieder einen Papa.« Die Frau legte eine beispiellose Geduld an den Tag.
    Der Kleine gab sich nicht geschlagen. Er hieb mit sei-
    nem hölzernen Gewehr auf den Boden und brüllte:
    »Du lügst! Mama lügt nicht! Warum hat sie mir nicht
    gesagt, dass das der Papa ist?«
    »Sie ist nicht mehr dazu gekommen. Sie mussten heut
    schon in aller Frühe nach Trebnitz aufbrechen. Morgen
    Abend werden sie zurück sein, dann werden sie dir alles
    erzählen.«
    »Mama!!! Mama!!!« Der Junge warf sich laut heulend
    auf die Erde und schlug mit allen vieren auf sie ein. Dabei wirbelte er Wolken von Staub auf, der auch seinen frisch
    gebügelten Matrosenanzug bedeckte. Das geplagte Kin-
    dermädchen versuchte ihn hochzuheben, Klaus entwand
    sich jedoch ihrem Griff und biss sie in den Unterarm.
    Anwaldt stand auf, schichtete die Akten aufeinander,
    faltete die Decke zusammen und humpelte zum Auto. Er
    vermied es, sich noch einmal umzusehen, da er fürchtete,
    er werde umkehren und Klaus an seinem Matrosenkra-
    gen packen, um ihn im Teich zu ersäufen. Aber seine
    mörderischen Gedanken waren keineswegs nur auf das
    Geschrei des Kindes zurückzuführen, das sich noch aus
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    der Entfernung wie eine Rasierklinge in den wunden
    Kopf und die schmerzhaften Hornissenstiche schnitt:
    Nein, nicht das Geschrei brachte ihn zur Weißglut, son-
    dern dieser gedankenlose, dumme Trotz, mit dem das
    verzogene Balg ein unglaubliches Glück von sich wies: die
    unerwartete Rückkehr eines Elternteils nach mehreren
    Jahren. Es war ihm gar

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