Tod in Breslau
war.
Die »Gymnasiastin« erschien in Begleitung eines rot-
haarigen Engels mit hellbraunen Augen und durchsichti-
gem Teint. Die beiden Männer erlaubten ihnen nicht,
sich zu setzen, und so standen die Mädchen verlegen und
hilflos in der Mitte des Raumes.
Anwaldt stand auf, legte seine Hände auf dem Rücken
zusammen und spazierte im Zimmer auf und ab. Unver-
mittelt blieb er vor Erna stehen.
»Hör mir gut zu. Heute wird dich der bärtige Chauf-
feur zu Maass bringen. Du wirst Maass sagen, dass deine
Schulfreundin ganz wild darauf ist, ihn kennen zu lernen
und glücklich zu machen … Du wirst ihm sagen, dass sie
ihn ungeduldig erwartet, im Hotel … in welchem Ho-
tel?«, fragte er Mock.
»Zur Grünen Gans, Junkerstraße 27/29.«
Anwaldt wandte sich an die Rothaarige: »Du wirst dort
210
auf ihn warten, Zimmer 104. Der Portier wird dir den
Schlüssel geben. Du wirst sehr unschuldig tun, und du
wirst dich ihm erst hingeben, nachdem du lange Wider-
stand geleistet hast. Madame wird dir genaue Anweisun-
gen geben, was du tun musst, damit ein Kunde denkt,
dass er es mit einer Jungfrau zu tun hat.« Anwaldt zeigte
auf Erna. »Und dann wirst du dazustoßen. Kurz und gut:
Ihr müsst Maass mindestens zwei Stunden in diesem Ho-
tel festhalten. Und gnade euch Gott, wenn euch das nicht
gelingt! Das ist alles. Gibt es noch Fragen?«
»Ja«, ließ sich der tiefe Alt der Gymnasiastin verneh-
men. »Ist der Chauffeur einverstanden damit, uns in das
Hotel zu bringen?«
»Ihm ist es völlig gleichgültig, wo du es treibst – wenn
es nur mit Maass ist.«
»Ich möchte auch etwas fragen«, krächzte die Rothaa-
rige. (Warum haben sie eigentlich alle so raue Stimmen?
Ganz gleich. Sie sind wahrscheinlich ohnehin aufrichtiger als Erna Stange mit ihrem melodischen, leisen Singsang.)
»Woher soll ich so eine Schuluniform nehmen?«
»Zieh ein ganz normales Kleid an. Jetzt sind Sommer-
ferien, da verlangt niemand von Schülern, dass sie Uni-
form tragen. Du kannst ihm außerdem sagen, dass du
dich geniert hast, in der Uniform zu einem Rendezvous
ins Hotel zu kommen.«
Mock erhob sich langsam. »Noch Fragen?«
211
Breslau, 14. Juli 1934.
Elf Uhr vormittags
Sie parkten den Adler vor dem Polizeipräsidium. Gleich
nachdem sie das düstere Gebäude betreten hatten, in dem
wie in einem Keller eine angenehme Kühle herrschte,
trennten sie sich. Mock ging zu Forstner und Anwaldt in
die Asservatenkammer. Nach einer Viertelstunde trafen
sie vor der Portiersloge wieder zusammen. Beide hielten
ein kleines Paket unter dem Arm.
Mit Bedauern verließen sie die dicken, schützenden
Mauern des Präsidiums. Die heißen Luftschwaden auf
der Straße nahmen ihnen fast den Atem. Bei ihrem Wa-
gen stand der Polizeifotograf Helmut Ehlers, dessen gro-
ßer, kahler Schädel die Sonnenstrahlen zu reflektieren
schien. Alle drei stiegen ein, Anwaldt steuerte. Ihr erstes Ziel war Deutschmanns Tabaktrafik in der Schweidnitzer
Straße, wo Mock seine Lieblingszigarren kaufte, und
nachdem sie umgekehrt waren und die Dorotheenkirche,
das Hotel Monopol, das Stadttheater und das Wertheim-
Kaufhaus passiert hatten, bogen sie rechts in die Tauent-
zienstraße ein. Nach knapp zwanzig Metern hielten sie
an. Aus einer schattigen Toreinfahrt kam Smolorz auf sie
zu. Rasch nahm er neben Ehlers auf dem Rücksitz Platz
und sagte:
»Sie ist schon seit fünf Minuten bei ihm. Köpperlingks
Chauffeur wartet dort auf sie.« Er zeigte auf den Chauf-
feur, der an seinem Mercedes lehnte, eine Zigarette
schmauchte und sich dabei mit seiner etwas zu kleinen
212
steifen Kappe Luft zu fächelte. Es war ihm deutlich anzu-
sehen, dass er in seiner dunklen Livrée mit den Gold-
knöpfen und dem gestickten Monogramm des Barons
kaum Luft bekam. Gleich darauf erschien Maass auf dem
glühend heißen Trottoir. Er schien sehr aufgekratzt und
hielt die hübsche Gymnasiastin fest an seine Seite ge-
presst. Eine Dame musste sich an ihnen vorbeidrängen
und spuckte angewidert aus. Die beiden stiegen in den
Mercedes. Der Chauffeur verzog keine Miene und ließ
den Motor an. Einen Moment später war die elegante
Limousine aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Also, meine Herren«, sagte Mock leise. »Wir haben
zwei Stunden. Maass soll sich noch einmal kräftig amüsie-
ren. Es dauert nicht mehr lang, dann sitzt er bei uns …«
Sie stiegen aus und traten erleichtert in den Schatten
des Haustors. Ein schmächtiger Hausmeister
Weitere Kostenlose Bücher